Vor der eigenen Tür kehren

Nicht nur in den USA, auch und gerade innerhalb der EU muss offen über die Folterpraktiken im Irak diskutiert werden, um sich nicht dem Vorwurf der Doppelzüngigkeit auszusetzen, meint Peter Philipp in seinem Kommentar.

Das Gefängnis von Abu Ghraib, Foto: AP
Das Gefängnis von Abu Ghraib

​​Bundesaußenminister Joschka Fischer wird den Amerikanern wohl kaum die Leviten lesen. Aber immerhin sollen die Foltervorwürfe auf der Tagesordnung seines USA-Besuches stehen. Sicher keine leichte Aufgabe angesichts des Tiefs, das die gegenseitigen Beziehungen wegen des Irakkrieges durchgemacht hatten und das man nun überwunden wähnte.

Heute wie damals aber muss es das Recht – wenn nicht sogar die Pflicht - eines deutschen Außenministers sein, in aller Freundschaft, aber gleichzeitig auch aller Entschiedenheit in Washington darauf hinzuweisen, dass die Anwendung von Folter den erklärten gemeinsamen Grundsätzen widerspricht und dass es nicht genügen kann, sich dafür zu entschuldigen:

Solche Praktiken müssen abgestellt werden und die Verantwortlichen müssen die Konsequenzen ziehen. Nicht nur irgendein Militär hier oder dort, sondern auch die Politiker, die erst beim Anblick der inkriminierenden Fotos Bauchschmerzen bekamen. Nicht aber, als sie das schändliche Treiben anordneten oder doch wenigstens zuließen.

Es wäre freilich naiv anzunehmen, dass solche Ermahnungen Wirkung zeigen könnten in einem Washington, dessen politische Führung immer noch überzeugt ist, für das Gute zu kämpfen. Und dabei das Gute am eigenen System missachtet. Eine solche Ermahnung an die USA erfüllt deswegen wohl auch mehr einen anderen Zweck: Sie soll demonstrieren, dass wir den bisher so hochgehaltenen moralischen Werten der Demokratie weiter verpflichtet sind. Nur wenn wir jetzt entschieden gegen das Vorgehen im Irak auftreten, beweisen wir, dass "Menschenwürde" und "Menschenrechte" mehr sind als nur Worte in unserem Grundgesetz. Alle Achtung deswegen vor der Schweizer Außenministerin, die die Botschafter der USA und Großbritanniens zu sich zitierte, um sie an die Genfer Konvention zu "erinnern".

Entschiedenes Auftreten sind wir uns selbst schuldig. Und das nicht nur gegenüber den USA, sondern – mehr noch – gegenüber Großbritannien. Denn dieses ist Teil der "europäischen Familie", die wir doch gerade in letzter Zeit so ausgiebig gefeiert und bejubelt haben. Um nicht unglaubwürdig zu werden, muss Europa zuerst vor der eigenen Tür kehren. Und dann im eigenen Haus für Ordnung sorgen. Dass dies keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Mitgliedsstaates ist, hat man im Fall Österreich und Haider längst festgestellt.

Es sollte – es muss – in der Europäischen Union Mechanismen geben, unbotmäßigem Verhalten einzelner Mitglieder zu begegnen. Sonst fällt das alles auf die Gemeinschaft zurück und müssen wir uns alle den Vorwurf gefallen lassen, mit doppelter Zunge zu sprechen und doppelte Moral gelten zu lassen: Wie kann zum Beispiel das Europäische Parlament weltweit die Einhaltung der Menschenrechte einfordern, wenn es Verstöße gegen dieselben durch EU-Mitglieder nicht verurteilt? Oder: Wie können wir uns glaubhaft um Verständigung, Dialog und Zusammenarbeit mit der islamischen Welt bemühen, gleichzeitig aber betreten wegschauen, wenn aus unserer –europäischen – Mitte diese Welt auf das Schlimmste gedemütigt wird?

Peter Philipp

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2004