Warnschuss für die Zivilgesellschaft
Sind Sie von der Beschlagnahmung der Zeitschrift "Wasla" überrascht worden und wie erklären Sie sich das rigorose Vorgehen der Sicherheitsbehörden?
Gamal Eid: Eigentlich nicht. Denn wir haben angesichts der neuerlichen Entwicklung in Ägypten mit repressiven Maßnahmen dieser Art rechnen müssen. Dass es allerdings so schnell geschah, hat uns letztlich überrascht. Generell lässt sich festhalten, dass die neuen Herrscher allen Organisationen der Zivilgesellschaft einen Schlag versetzen möchten, weil diese die im Lande herrschende Ungerechtigkeit und Willkürherrschaft kritisieren. Vermutlich möchte der neue Präsident am Anfang seiner Amtszeit alle Kritiker mundtot machen.
Hinzukommt der Wunsch der Sicherheitsbehörden, Rache am "Arabischen Netzwerk für Menschenrechtsinformationen" (ANHRI) für deren Rolle bei der Demokratieförderung in Ägypten zu üben.
Glauben Sie, dass bestimmte Artikel in der beschlagnahmten Ausgabe von "Wasla" einen Grund für die Beschlagnahmung darstellen können?
Eid: Die Zeitschrift "Wasla", die seit 2010 erscheint, publiziert verschiedene Beiträge junger Autoren und Aktivisten aus allen politischen Lagern, die vorher online verfügbar waren. Wir treffen eine Auswahl an interessanten Artikeln und veröffentlichen sie in unregelmäßigen Abständen in einer Printversion, damit ältere und nicht internetaffine Generationen sie auch lesen können. Ich denke, dass wir mit der Zeitschrift einen wichtigen Beitrag zur Förderung des Dialogs zwischen den Generationen in Ägypten leisten.
Die beschlagnahmte Ausgabe von "Wasla" enthält Beiträge, die weder die Muslimbrüder noch das neue Regime unterstützen. Ein Beispiel ist eine Analyse des "Phänomens Al-Sisi" aus soziologischer Perspektive. In einem anderen Artikel erläutert der Autor, weshalb er Abdelfattah al-Sisi unterstützt.
Darüber hinaus veröffentlicht "Wasla" Artikel zu den unterschiedlichsten Themenfeldern, wie z.B. "Liebe im Internet", Ramadan-Feierlichkeiten oder das sogenannte "ElBaradei-Fieber". Wir decken somit ein sehr breites Spektrum an politischen und gesellschaftlichen Themen ab.
Mit welchen Vorwürfen wurden Sie denn konkret konfrontiert?
Eid: Die Sicherheitsbehörden haben uns vorgeworfen, keine offizielle Erlaubnis für Publikationen zu besitzen. Das ist aber falsch, denn "Wasla" ist seit 2010 bei den Behörden registriert.
Zudem behaupteten sie, "Wasla" sei angeblich in Umsturzpläne verwickelt, was völlig unsinnig ist, denn die beschlagnahmte Ausgabe ging noch vor der Machtübernahme Al-Sisis in den Druck. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass diese Ausgabe von "Wasla" ja auch Artikel enthält, in denen klar Position für Al-Sisi als neuen Präsidenten Ägyptens bezogen wird.
Allerdings lautet der absurdeste Vorwurf der Sicherheitsbehörden, dass "Wasla" der Muslimbruderschaft gehöre. Aus meiner Sicht ist diese Behauptung schlicht lächerlich. Alle Mitarbeiter des "Arabischen Netzwerks für Menschenrechtsinformationen" sind säkular eingestellt und gehören verschiedenen linken bzw. liberalen Strömungen an.
Wie wollen sie sich nun gegen diese Restriktionen zur Wehr setzen?
Eid: Wir werden der Staatsanwaltschaft ältere Ausgaben von "Wasla" zukommen lassen, um zu zeigen, dass „Wasla“ als Stimme unserer Menschenrechtsinitiative eine politische, aber zugleich unabhängige Publikation ist, die sich für Presse- und Meinungsfreiheit einsetzt. Wir haben weder zum Sturz der Regierung aufgerufen, noch mit der Muslimbruderschaft zusammengearbeitet. Diese Vorwürfe entbehren jeder Grundlage.
Sehen Sie den Angriff auf "Wasla" als deutlichen Warnschuss für Ihre sowie andere zivilgesellschaftliche Organisationen?
Eid: Ja, mit Sicherheit. Das Vorgehen der Sicherheitsbehörden gegen "Wasla" zielt eindeutig darauf ab, alle seriös arbeitenden Menschenrechtsorganisationen in Ägypten, zu warnen. Diese Maßnahme dürfte den Beginn der Unterdrückung der Zivilgesellschaft durch die neue ägyptische Führung markieren.
Interview: Abbas Al-Khashali
© Qantara.de 2014
Aus dem Arabischen vom Loay Mudhoon
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de
Gamal Eid ist Anwalt, Menschenrechtler und war früheres Mitglied der "Kifaya"-Protestbewegung.