Ägyptens NGOs im Würgegriff des Staates
Frau Hassan, gegen Sie besteht noch immer ein Reiseverbot, ihre Konten sind bis heute eingefroren. Wie kam es zu dieser Entwicklung?
Mozn Hassan: Der Fall ist äußerst kompliziert. Die ägyptische Staatsanwaltschaft ermittelt bereits seit 2011 gegen mehrere NGOs. Damals hatten die Behörden einige internationale und lokale NGOs durchsuchen lassen. Ein Teil des Falles wurde beigelegt, nachdem ein Gericht ein Urteil fällte, das die internationalen Organisationen kriminalisierte. Seither konzentriert sich der Prozess auf lokale Entitäten, aber es geht immer noch darum, Nichtregierungsorganisationen dafür zu belangen, ausländische Mittel angenommen zu haben.
Wir werden beschuldigt, ausländische Gelder für illegale Zwecke angenommen zu haben und dadurch Ägypten angeblich "Schande zu bereiten". "Nazra for Feminist Studies" ist seit 2012 angeklagt. Im März 2016 luden die Richter drei unserer Mitarbeiter vor Gericht, damit diese als Zeugen gegen mich aussagen. Die Richter wollten eine Untersuchung einleiten, also wurde ich als Angeklagte vorgeladen, doch der Prozess vertagt und eine Reisewarnung gegen mich ausgesprochen. Anschließend veranlassten sie bei den Behörden die Sperrung meiner Konten und die unserer Organisation. In der letzten Verhandlung am 14. Dezember 2016 wurden die Kontensperrung und das Reiseverbot gegen Azza Soliman, die für das "Center for Egyptian Women's Legal Asistance" arbeitet, bestätigt. Ihr Fall ist der härteste bisher. Noch gibt es kein Urteil gegen mich. Wir erwarten, dass es in der nächsten Anhörung am 11. Januar gefällt wird.
Sie haben Ihrem Personal inzwischen geraten, sich nach neuen Jobs umzusehen. Gehen Sie davon aus, dass Ihre Organisation womöglich schon bald verboten wird?
Hassan: Die ganze Sache ist sehr problematisch, denn wenn die Konten gesperrt sind, so bedeutet das nichts anderes, als dass das "Ministerium für Soziale Solidarität" generell dazu befugt ist, Bankkonten nach eigenem Ermessen schließen zu können. Dennoch bedeutet eine Kontensperrung nicht, dass diese legale Organisation automatisch geschlossen werden muss. Ich glaube, "Nazra for Feminist Studies" soll stigmatisiert werden. Daher haben wir es dem Personal überlassen, zu bleiben oder nach neuen Beschäftigungen Ausschau zu halten. Wir glauben nicht, dass Nazra wegen einer Kontensperrung geschlossen werden muss. Wenn das Vermögen einer Entität eingefroren wird, bedeutet das nicht, dass die Organisation nicht legal ist. Es bedeutet lediglich, dass sie kein Geld erhalten darf. Doch unsere Organisation versteht sich als Teil einer Bewegung. Und deshalb denke ich auch, dass es hier nicht vordergründig ums Geld geht, sondern um die Leute, die für die Organisation arbeiten und die mit unserer Arbeit verbundenen Diskurse.
Auch wenn "Nazra for Feminist Studies" geschlossen werden müsste, halten Sie grundsätzlich an Ihrer Arbeit fest?
Hassan: Ich denke das werden wir. Wir werden sehen, welchen rechtlichen Weg wir finden werden. Wir geben jedenfalls nicht auf. Es ist jetzt unsere Pflicht, kreativ zu sein, um Lösungen zu finden. Trotz der aktuellen rechtlichen Herausforderungen halten wir an unserer Arbeit und unseren Zielen fest.
Andere von den neuen Restriktionen gegen NGOs betroffene Organisationen kritisieren die ägyptische Regierung deutlich offener als Ihre Organisation dies tut. Und trotzdem rückt Ihre Organisation ins Fadenkreuz der staatlichen Behörden. Wie erklären Sie sich das?
Hassan: Diese Argumentation gefällt mir nicht. Denn sie impliziert, dass Feminismus keine gesamtgesellschaftliche Kritik beinhaltet. Das stimmt so nicht. Den Staat für Folter zu kritisieren, wird als wichtiger erachtet als die systematische sexuelle Gewalt gegen Frauen in Ägypten anzuprangern. Doch der ägyptische Staat ist ganz klar ein patriarchaler und ihm wird es exklusiv erlaubt zu sagen, dass es sexuelle Gewalt gibt. Der Staat betrachtet den "National Council for Women", der von privilegierten Frauen geleitet wird, die für den Staat arbeiten, als einzig legitime Institution, wo über diese Dinge gesprochen werden soll. Auf diese Weise versucht der Staat den gesamten feministischen Diskurs zu kooptieren.
Das ganze wird klar wenn man sich die Geschichte der ägyptischen feministischen Bewegung und den Fall von Doria Shafiq in den 1950ern anschaut. Shafiq war eine bekannte Feministin, die 1951 das ägyptische Parlament besetzte und den Parlamentariern eine Liste an Forderungen präsentierte. Gemeinsam mit Aktivistinnen der NGO "Bint al-Nil" forderte sie das Wahlrecht für Frauen ein – neben anderen konstitutionellen Rechten wie dem Ende der Polygamie. Einige Jahre später wurde "Bint al-Nil" verboten und Shafiq für 18 Jahre unter Hausarrest gestellt. In einer Zeit, in der der damalige Präsident Ägyptens, Gamal Abdel Nasser, Frauen im Zuge einer Verfassungsreform einige Rechte einräumte. Der Staat gestand Frauen also Rechte zu, während genau die Frau stigmatisiert wurde, die diese Rechte zuerst eingefordert hatte.
Das neue Gesetz ist nicht der erste Versuch, Ägyptens Zivilgesellschaft zum Schweigen zu bringen. Worin unterscheidet sich dieses Gesetz von den vorangegangenen NGO-Restriktionen?
Hassan: Dieses Gesetz kommt zu einer Zeit, in der uns die lokale und internationale Öffentlichkeit nicht unterstützt. Die Regierung versucht bereits seit einiger Zeit, das NGO-Gesetz aus dem Jahr 2002 zu verändern. Seither hatten wir entweder lokale oder internationale Unterstützung. Doch heute interessiert sich offenbar kaum noch jemand im Ausland für die Situation von Nichtregierungsorganisationen in Ägypten.
Hinzu kommt, dass das vom Parlament vorgelegte NGO-Gesetz noch deutlich katastrophaler für uns ist, als der ursprüngliche Regierungsentwurf. Bis heute hat Präsident Abdel Fattah al-Sisi das Gesetz nicht unterzeichnet. Er will, dass sich das Parlament erneut mit diesem Fall befasst, doch das Parlament weigert sich hierzu bislang. Wir stecken derzeit in einem rechtlichen Dilemma.
Inwiefern?
Hassan: Der Entwurf der Regierung zielte vor allem auf die Menschenrechtsorganisationen ab und setzte uns in Hinblick auf Aktivitäten, ausländische Fundings und internationale Beziehungen unter Druck. Der Entwurf des Parlaments ist noch weitaus problematischer, da er erstmals auch lokales Funding ins Visier nimmt. So soll künftig jede lokale Finanzierung von NGOs von der Regierung genehmigt werden. Wir sprechen also nicht mehr nur über Menschenrechtsgruppen, sondern auch über Entwicklungs- und Wohltätigkeitsorganisationen. Das Gesetz sieht auch die Einsetzung eines Komitees vor, das sämtliche NGO-Aktivitäten überwachen soll. Es setzt sich zusammen aus Vertretern des Verteidigungsministerium, der Geheimdienste und des Heimatschutzes, der Zentralbank und einiger anderer Regierungsbehörden. Das ist insofern problematisch, da es nicht mehr nur auf Menschenrechtsorganisationen abzielt, sondern auf die Zivilgesellschaft als Ganzes. Dieses Gesetz korrespondiert mit der Vorstellung bestimmter Leute, die nicht verstehen, was eine Zivilgesellschaft ist und denken, das Geld jeder NGO sollte besser vom Staat kontrolliert und verwaltet werden.
Das Gespräch führte Sofian Philip Naceur.
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