Weichenstellung für die Zeit nach Assad
Frau Asseburg, über Monate hat eine Gruppe syrischer Oppositioneller unter dem Motto "The Day After: Supporting a Democratic Transition in Syria" in den Räumen der "Stiftung Wissenschaft und Politik" Pläne für einen friedlichen Übergang des Landes nach Ende der Assad-Herrschaft entworfen. Wie kam es zu diesem Projekt?
Muriel Asseburg: Der Anstoß zu dem Projekt kam von einer Gruppe von Exil-Syrern. Ihnen ging es darum, sich mit den Herausforderungen in der Zeit nach einem Regimewechsel auseinanderzusetzen. Durch ihre Arbeit wollen sie zugleich auch diejenigen Syrer vom Sinn der Revolution überzeugen, die ihr bislang skeptisch oder sogar ablehnend gegenüberstehen. Ebenso wollen sie ein Zeichen in Richtung der Internationalen Gemeinschaft senden, dass die Opposition in der Lage ist, zusammenzuarbeiten und eine deutliche Vorstellung von dem hat, wie sich ihr Land nach der Revolution entwickeln soll.
Wer sind die Mitglieder der Arbeitsgruppe?
Asseburg: Die Gruppe setzte sich zunächst vor allem aus syrischen Exilanten zusammen, überwiegend solchen, die sich seit Kurzem oder Längerem in den USA aufhalten. Diese wählten weitere Teilnehmer aus und bildeten ein syrisches Leitungsgremium für das Projekt. Unser amerikanischer Partner ("United States Institute of Peace") und wir haben das Projekt unterstützt, in dem wir unsere Räume, Infrastruktur und Expertise zur Verfügung gestellt haben. Insgesamt nahmen rund 45 Teilnehmer an den Treffen teil.
Ausdrücklich wurden sie nicht als Vertreter verschiedener politischer Parteien oder Bündnisse in das Gremium berufen, sondern aufgrund ihres jeweiligen Fachwissens, ihrer Persönlichkeit. Dennoch hat man auch darauf geachtet, die wichtigsten konfessionellen und ethnischen Gruppierungen wie auch die wichtigsten politischen Strömungen mit an Bord zu haben. Die Mitglieder gehören teils der innersyrischen, teils der aus dem Ausland heraus agierenden Opposition an.
Wie sieht die grundsätzliche Vorstellung der Gruppe von einem Syrien nach Assad aus?
Asseburg: Die Mitglieder sind sich zum Beispiel dahingehend einig, dass in einem Syrien nach Assad alle Bürger vor dem Gesetz gleich sein sollen, ganz unabhängig von ihrer Konfession oder ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Das klingt für deutsche Ohren vielleicht nicht sonderlich spektakulär, aber in Syrien ist das nach vierzig Jahren Assad-Regime alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Man muss sich vor Augen halten, wie stark die bisherige politische Ordnung auf Privilegierung und Diskriminierung von ganzen konfessionellen bzw. Volksgruppen beruhte.
Welche Fragen standen im Zentrum des Workshops?
Asseburg: Wir hatten sechs Arbeitsgruppen, die sich sechs verschiedenen Themen widmeten: Übergangsjustiz, Rechtsstaatlichkeit, Verfassungsprozess und Prinzipien einer neuen Verfassung, das Wahlsystem - insbesondere für Wahlen für eine verfassungsgebende Versammlung -, wirtschaftlicher Wiederaufbau und Sozialpolitik, Sicherheitssektorreform.
Diese Punkte sind nach Auffassung der Projektteilnehmer für die kurz- und mittelfristige Zukunft Syriens von zentraler Bedeutung. Einer der kurzfristig dringlichsten Punkte ist dabei die Sicherheitsfrage.
Dabei geht es zunächst um die Wiederherstellung von Ordnung und das Verhindern von Vergeltungsakten. Hier müssen dringend bereits vor dem Sturz des Regimes vorbereitende Maßnahmen getroffen werden. Gleichzeitig müssen für den Aufbau eines demokratisch kontrollierten Sicherheitsapparats von Anfang an die Grundlagen gelegt werden.
Auch der Wiederaufbau dürfte den Syrern einiges abverlangen.
Asseburg: Ja. Die 40-jährige Regierungszeit von Vater und Sohn Assad hat ein enormes wirtschaftliches Ungleichgewicht entstehen lassen, das durch die partielle Liberalisierung der letzten Jahre noch verschärft worden ist. Hinzu kommen die bewaffneten Auseinandersetzungen der letzten anderthalb Jahre. All dies hat dazu geführt, dass die humanitären Herausforderungen ebenso wie die Arbeiten zum Wiederaufbau des Landes immens sein werden - von denen des Umbaus des Wirtschaftssystems ganz zu schweigen.
Wie sehen die Mitglieder der Arbeitsgruppe die bisherige Rolle der westlichen Staaten? Diese haben sich in den letzten anderthalb Jahren ja ausgesprochen zurückhaltend gezeigt.
Asseburg: In der Tat war und ist es für viele syrische Oppositionelle schwer erträglich, mit ansehen zu müssen, wie in ihrem Land die brutale Repression Tag für Tag weitergeht und der Westen nichts Entscheidendes tut, um diese zu beenden. Sie sehen vor allem die Widersprüchlichkeit der westlichen Politik. Zwar versteht sich der Westen als Verfechter der Menschenrechte. Wenn er dann aber ernsthaft gefordert ist, so die Wahrnehmung vieler Syrer, schreitet er nicht ein, um diese durchzusetzen.
Wie sehen die Teilnehmer die spezifische Rolle Deutschlands?
Asseburg: Auch wenn die Teilnehmer es gerne anders hätten, haben sie doch auch ein gewisses Maß an Verständnis dafür, dass Deutschland sich in der Frage militärischer Interventionen zurückhält. Zugleich erkennt man an, dass sich Deutschland unter anderem im humanitären Bereich engagiert. Vor allem schätzt man es auch, dass sich Deutschland zusammen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten für den ökonomischen Wiederaufbau Syriens engagiert.
Interview: Kersten Knipp
© Deutsche Welle 2012
Dr. Muriel Asseburg ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), dem Deutschen Institut für internationale Politik und Sicherheit in Berlin. Sie hat für die SWP das The Day After-Projekt betreut.
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de