Ein Verbündeter, aber keine Marionette
Als Irans Präsident Hassan Rohani wenige Tage nach der Eroberung Mossuls und der umliegenden Provinz Ninive durch die Dschihadi-Gruppe "Islamischer Staat im Irak und in Syrien" (ISIS) dem bedrängten irakischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki "volle Unterstützung" im Kampf gegen den Terror zusicherte, fühlten sich viele irakische Sunniten in ihrer Überzeugung bestätigt, dass der Schiit al-Maliki eine Marionette Teherans sei und der Kampf gegen die Regierung in Bagdad mithin ein Kampf gegen die "iranische Vorherrschaft" im Irak.
Doch wie eng ist das Verhältnis der beiden Nachbarn wirklich? "Niemand wird leugnen, dass der Iran im Irak tatsächlich einflussreich ist", meint der Iranexperte Walter Posch von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Doch wer al-Maliki für einen willenlosen Handlanger Irans halte, überschätze den Einfluss Teherans und übersehe, wie tief vielfach die Differenzen seien, so Posch.
Sicher, der Iran hat ein starkes Interesse daran, dass die Schiiten in Bagdad an der Macht bleiben und das Nachbarland nicht erneut zu einer Bedrohung des Irans wird. Die Schiiten beider Länder sind historisch eng miteinander verbunden, jährliche pilgern hunderttausende Iraner zu den heiligen Stätten in Nadschaf und Kerbala. Viele iranische Geistliche haben an den dortigen Religionsschulen studiert, umgekehrt waren während der Herrschaft Saddam Husseins viele schiitische Oppositionelle im iranischen Exil, wo sie mit Unterstützung Teherans den "Hohen Rat für die Islamische Revolution im Irak" (Sciri) gründeten.
Keine einseitig pro-iranische Politik
Allerdings gehörte al-Maliki nicht zur pro-iranischen Opposition, sondern zu einem rivalisierenden Flügel der "Dawa"-Partei, sagt Posch. Zwar habe er einige Jahre im Iran verbracht, doch sei er kein ausgesprochener "Iran-Freund". Bei seiner Ernennung galt er als Kompromisskandidat, der auch für die Sunniten akzeptabel war. Seit seinem Amtsantritt 2006 habe er denn auch keineswegs eine einseitig pro-iranische Politik betrieben, sagt der SWP-Experte.
Generell sollte nicht übersehen werden, dass die nationalen Interessen durchaus verschieden sind und die Iraker – ob Sunniten oder Schiiten – in erster Linie doch Araber sind und die Iraner Perser, mit ihrer eigenen Sprache, Kultur und Identität. Diese Erfahrung machten beide Seiten bereits während des Iran-Irak-Kriegs, als sich die Hoffnung Teherans auf einen Aufstand der irakischen Schiiten als ebenso falsch erwies wie die Erwartung Saddam Husseins, dass die sunnitischen Iraner den Einmarsch seiner Truppen unterstützen würden.
Der Iran verfolge heute daher auch keine konfessionelle Politik, sagt Posch. Er sei vielmehr bestrebt, in der Region als islamischer Staat wahrgenommen zu werden, der für alle Muslime unabhängig von ihrer Konfession eintritt, betont der SWP-Experte. Wenn al-Maliki seit seinem Amtsantritt 2006 mit einer einseitig pro-schiitischen Politik die Sunniten gegen sich aufgebracht hat, dann liege dies nicht in erster Linie am Iran, der ihn stets zur Einbindung der Sunniten gedrängt habe.
Opfer der Ent-Baathisierung
Viele Sunniten sehen sich durch die schiitisch dominierte Regierung benachteiligt. Bei der Ent-Baathisierung – der Säuberung von Armee und Behörden von Mitgliedern der einstigen Staatspartei – seien besonders sunnitische Offiziere und Beamte betroffen gewesen, klagen sie. Zudem seien die Sunniten unter dem Vorwand des Kampfes gegen den Terror ständig willkürlichen Kontrollen und Festnahmen durch die mehrheitlich schiitischen Sicherheitskräfte ausgesetzt.
Als al-Maliki letztes Jahr führende sunnitische Politiker wegen angeblicher Terrordelikte ins Visier nahm, schlossen sich daher sunnitische Parteien und Stämme zu einer Gegenbewegung zusammen. In Hawija, Ramadi und anderen Städten wurden Protestlager aufgeschlagen. Doch anstatt auf die durchaus berechtigten Forderungen einzugehen, diffamierte al-Maliki die Demonstranten als Terroristen und ließ im April 2013 das Lager in Hawija gewaltsam räumen. Ende Dezember wurde dann auch das Protestcamp in Ramadi von der Armee aufgelöst.
Die Blitzoffensive der ISIS-Kämpfer, die es den Islamisten ermöglichte, binnen weniger Tage die Großstadt Mossul und andere Gebiete einzunehmen, wäre nicht denkbar gewesen, wenn sie nicht die Unterstützung anderer sunnitischer Gruppen gefunden hätten. Schon bei der Eroberung von Falludscha und Teilen Ramadis im vergangenen Januar waren die Dschihadis von sunnitischen Stammeskämpfern unterstützt worden. Was vielfach nun als Offensive von ISIS gesehen wird, ist mithin auch ein Aufstand der Sunniten gegen eine Politik, die sie als gezielte Ausgrenzung ihrer Volksgruppe verstehen.
Viele Sunniten betonen dabei, dass sich ihr Kampf auch gegen die iranische Vorherrschaft richte – doch dürften wohl derartige Vorwürfe getrost als Versuch begriffen werden, al-Maliki als ausländische Marionette zu diskreditieren. Umgekehrt ist der iranische Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei seit der Eskalation des Konflikts fieberhaft bemüht, ihn als Kampf gegen die sogenannten "Takfiris" darzustellen – also jene radikalen Salafisten und Dschihadis, die alle Muslime zu Ketzern erklären, die ihre eigene engstirnige Auslegung des Islams nicht teilen.
Keine iranischen Bodentruppen
Um die Sunniten nicht weiter zu provozieren, wird der Iran auch tunlichst davon absehen, eigene Bodentruppen zu entsenden, glaubt Posch. Berichte über iranische Einheiten im Irak hält der SWP-Experte für wenig glaubhaft. Sicher seien die Al-Qods-Brigaden – die für Auslandseinsätze zuständigen Eliteeinheiten der Revolutionsgarden – im Irak aktiv, doch beschränkten sie sich auf die Ausbildung von Truppen. Auch der iranische Geheimdienst sei massiv im Nachbarland präsent, doch sei er dort wohl nicht allein.
Angesichts der Offensive der Dschihadisten werde der Iran wohl verstärkt den Aufbau schiitischer Milizen unterstützen, glaubt Posch, doch zugleich schauen, dass er die eigenen Freiwilligen unter Kontrolle hält. Eigene "Panzertruppen" werde die Islamische Republik bestimmt nicht entsenden. Inzwischen hat selbst das US-Verteidigungsministerium eingeräumt, dass es keine Spur von größeren iranischen Einheiten im Irak gebe. Die Regierung in Teheran hat ohnehin öffentlich ausgeschlossen, Truppen zu schicken.
Während der Iran sich also eher zurückhält, hat sich ein anderer Akteur inzwischen zu Wort gemeldet: Angesichts des ISIS-Vorstoßes auf die heilige schiitische Stadt Samarra hat der hoch angesehene schiitische Großayatollah Ali al-Sistani seine Glaubensbrüder aufgerufen, zur Verteidigung der heiligen Stätten zu den Waffen zu greifen. Damit habe al-Sistani dem Iran das Heft aus der Hand genommen und gezeigt, wer die wahre Autorität im Irak sei, so Posch. "Und das ist nicht Ayatollah Khamenei."
Ulrich von Schwerin
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de