"Sie wollen Kontrolle über Bücher"

Bei den landesweiten Protesten der vergangenen Wochen gegen die Reformen der neuen israelischen Regierung waren Schriftstellerinnen und Schriftsteller kaum sichtbar. Das hat sich nun grundlegend geändert. Von Joseph Croitoru 

Von Joseph Croitoru

Der in Tel Aviv ansässige "Verband der hebräischen Schriftstellerinnen und Schriftsteller“ hat sich vor wenigen Tagen mit einer zweistündigen Leseveranstaltung dem Widerstand gegen die Reformpläne der Regierung angeschlossen. Sie ist in einem Video auf seiner Facebook-Seite dokumentiert, Titel: "Geschichte über einen Staat und die Finsternis – Protest der Schriftsteller und Dichter gegen die Diktatur.“ Der Verbandsvorsitzende Zvika Nir, Prosaautor, Lyriker, Rechtsanwalt und früheres Parlamentsmitglied, mahnte in seiner Eröffnungsrede: 

"Seit Jahren sage ich euch, dass die dunklen Wolken am Ende auch über uns ihren Regen ausschütten werden. Deshalb müssen wir uns, meine ich, organisieren, weil die jetzige Regierung nicht nur das Staatssystem ändern will, sie will alles ändern. Und zu meinem großen Bedauern muss ich sagen, dass ich nicht mehr an die Formel eines demokratisch-jüdischen Staates glaube – der kann nur demokratisch oder jüdisch sein.“ 

Petition israelischer Schriftsteller gegen Bildungsminister  Yoav Kish; Quelle: Internet
Protest gegen politische Einmischung in die Wahl der Bibliotheksleitung: Mittlerweile fast 500 israelische Schriftstellerinnen und Schriftsteller protestieren gegen die Ankündigung von Bildungsminister Yoav Kish (Likud), in eigener Regie die Leitung der israelischen Nationalbibliothek neu besetzen zu wollen. Das wäre ein klarer Verstoß gegen das bestehende Prozedere, das an der Wahl der Bibliotheksdirektion bewusst mehrere Bereiche der israelischen Gesellschaft beteiligt. Die Zeitung Haaretz druckte die Petition der Schriftsteller am 3. März unter dem Titel: "Nein zu politischer Einmischung in die Nationalbibliothek" ab.

Jehoschua Sobol, weltweit geschätzter Dramatiker, erinnerte in seiner Ansprache an das fatale Wirken der jüdischen Eiferer in der Antike zur Zeit des Zweiten Tempels. Sie hätten dessen Zerstörung durch die römischen Besatzer durch ihren Fanatismus letztlich selbst herbeigeführt:



"Neurotische Kräfte rissen die Kontrolle über das jüdische Volk an sich und trieben es in den Untergang. Und das geschieht auch heute in Israel. Das neurotische Lager bemächtigt sich des Staates. Allerdings nur dank einer geringen Mehrheit. Deshalb stehen die Aussichten gut, es zu entmachten."

Und weiter: "Man muss es in aller Deutlichkeit sagen – wir kämpfen um die Existenz unseres Staates und Volkes. Die Zeit ist gekommen für eine Gegenrebellion gegen diesen Umsturz, der sich gegen unsere Existenz richtet. Der Regierung geht es nicht um Reformen, es ist ein Aufstand gegen den Fortbestand dieses Staates.“

Den Ausschlag für das Aufbegehren der Literaten gab die beunruhigende Ankündigung des Bildungsministers Yoav Kish von der Regierungspartei Likud, in eigener Regie die Leitung der israelischen Nationalbibliothek neu besetzen zu wollen.



Das wäre ein klarer Verstoß gegen das bestehende Prozedere, das an der Wahl der Bibliotheksdirektion bewusst mehrere Bereiche der israelischen Gesellschaft beteiligt.  

Gegen das Vorhaben des Ministers haben knapp dreihundert Autorinnen und Autoren, darunter auch prominente Schriftsteller wie David Grossman und Chaim Beer, mit einer Petition protestiert.

Kulturkampf um die Nationalbibliothek

Sie warnen darin nicht nur eindringlich vor einer politischen Einmischung in die Belange dieser Kulturinstitution. Auch drohen sie damit, der Nationalbibliothek nicht mehr die gesetzlich vorgeschriebenen Pflichtexemplare ihrer Bücher zu liefern. Privatarchive und Nachlässe würden sie dem Haus auch nicht mehr vermachen. 

 

 

Vor den Folgen eines politischen Eingriffs warnte der Romanautor und Mitunterzeichner Chaim Beer im israelischen Rundfunk mit deutlichen Worten: 

"Es ist ein erster Ausdruck, ja eine erste Umsetzung der Gewalt, mit der auch sonst die gesetzlichen Änderungen durchgeboxt werden – im Klartext, Kontrolle über die Bücher zu erlangen. Bald werden sie entscheiden, was aus der Bibliothek entfernt und auch was nicht aufgenommen wird: Bücher von Arabern, von Linken. Sie werden eine Säuberung durchführen, eine ethnische Säuberung der Bücher. All diese Dinge kennen wir doch.“ 

Am Wochenende veröffentlichten die Schriftsteller ihre Petition auch in der linksliberalen israelischen Zeitung "Haaretz“. Wie der Liste der Signataren zu entnehmen ist, hat sich ihre Zahl nun auf fast fünfhundert erhört. Ihrem Protest hat sich mittlerweile auch die Leitung der Hebräischen Universität in Jerusalem angeschlossen. Sie hat angedroht, ihre Bücherbestände aus der Nationalbibliothek zurückzuziehen – ein Drittel der Sammlung.  

Joseph Croitoru

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