Kriegsberichterstattung auf dem Prüfstand
"War der Krieg nötig?", fragt der Journalist und Historiker Tom Segev in der Tageszeitung Haaretz und meint damit den Libanonkrieg von 2006 – Zwischentöne, die in den israelischen Medien eher selten zu vernehmen waren, so die NGO "Keshev". Mona Sarkis informiert.
Das von der EU geförderte, israelische "Zentrum zum Schutz der Demokratie in Israel", kurz: "Keshev", wurde von einer Gruppe Anwälte und Politikwissenschaftler nach der Ermordung des früheren israelischen Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin gegründet: Ihr Ziel: Nicht nur Informationen über demokratiefeindliche Bewegungen und deren Ideologien zu sammeln, sondern auch die israelischen Medien auf ihre Inhalte zu überprüfen.
In ihren letzten beiden Berichten vom letzten Juli und Dezember 2007 ("War till the Last Minute" - The Israeli Media in the Second Lebanon War" sowie "Women, Media and Conflict - A Gendered View of Israeli Television Coverage of the 2006 Lebanon War") geht "Keshev" scharf mit den Medien und deren Berichterstattung ins Gericht: insbesondere mit den drei israelischen Zeitungen Ma'ariv, Yediot Ahronot und Haaretz, aber auch mit den beiden TV-Sendern Channel 1 und Channel 2.
Kritik unerwünscht
So konstatiert "Keshev", dass von allen Positionen, die die Medien zu Beginn eines gewaltsamen Konfliktes einnehmen, die absurdeste die sei, dass man im Kriegsverlauf keine Kritik üben dürfe, sondern vielmehr erst abwarten müsse, bis dieser vorüber sei. Da sich Israel im Dauerkrieg befände, sei diese Kritik bis heute ohnehin kaum zu vernehmen.
Die Medien monierten einzig den Führungsverlauf des 33-Tages-Krieges, nicht aber den Akt selbst, so die Verfasser der Berichte. Im Gegenteil: Dieser sei gerechtfertigt, zumal existenziell gewesen. Und je weiter man sich vom Ziel, die "Spielregeln im Libanon zu ändern", entferne, umso existentieller und hysterischer gestaltete er sich, stellt "Keshev" fest.
Für das Studium von Fakten, gar von widersprüchlichen Aussagen in der Knesset, im Verteidigungsministerium und in den Reihen der "Israeli Defense Forces" (IDF) ließe dieser "Alptraum" ebenso wenig Raum, wie für die Aufklärung der Zerstörungen durch die israelische Armee.
Genialer Bösewicht, raffinierter Teufel
Vielmehr erschien Beirut in der israelischen Presse als eine Stadt "wie von einem Erdbeben getroffen". Höhere Mächte hätten offensichtlich auch Hizbollah-Chef Hassan Nasrallah beeinflusst. Die Artikel zeichneten von ihm das Bild eines "genialen Bösewichtes", eines "raffinierten Teufels", der Israel wiederholt treffen könnte und selbst nicht totzukriegen sei.
Dem Vorsitzenden von "Keshev", Daniel Dor, ist das nicht fremd. Einige konservative und rechte Medien in Israel waren bereits früh vom "Dämon" Jassir Arafat besessen, schreibt er in seinem 2005 erschienen Buch "The Suppression of Guilt". Die Erklärung dafür liegt auf der Hand, so Dor: Wer gegen eine Organisation wie die Hizbollah kämpft, der tut nichts Unrechtes, der verteidigt sich lediglich – so der herrschende Konsens in der Presse.
Selbst Aussagen in der liberalen Haaretz sind widersprüchlich. In Aufmachern und Schlagzeilen stimmt die Zeitung in den Chor der Verteidigung Israels im Libanonkonflikt ein – veröffentlicht aber zugleich die Artikel von Amira Hass, die die Perspektive aus den besetzten Gebieten wiedergeben und sehr wohl ein Schuldbewusstsein beim Leser auslösen können. Dies wir jedoch dadurch relativiert, dass die Berichte erst auf den hinteren Seiten, unter klein gesetzten Überschriften, erscheinen.
Mona Sarkis
© Qantara.de 2008
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Nachlesen können Sie die Berichte auf der Webseite von "Keshev" (engl.)