Wie der Sechs-Tage-Krieg das Land veränderte
Hinsichtlich des Sechs-Tage-Kriegs wurde in Israel der Mythos der Selbstverteidigung gepflegt, obgleich die Israelis es waren, die als erste angegriffen hatten. Militärhistoriker sprechen in einem solchen Zusammenhang von einem Präventivkrieg, doch nicht einmal dieser euphemistische Begriff fand in Israel Verwendung.
Der Krieg von 1967 wurde vielmehr als ein gerechter und ruhmreicher Blitzkrieg apostrophiert, der den jungen jüdischen Staat angeblich vor dem drohenden Untergang rettete und dessen Überlegenheit gegenüber den arabischen Feinden demonstrierte.
Die allgemeine Glorifizierung und die parteiischen Darstellungen und Memoiren der wichtigsten israelischen Entscheidungsträger aus Politik und Militär verhinderten jahrzehntelang eine kritische Auseinandersetzung. Diese setzte erstaunlicherweise erst in den neunziger Jahren ein und erreichte ihren Höhepunkt im neuen Jahrtausend.
Ausführliches, allzu Ausführliches
Das Buch dokumentiert weniger die Kriegshandlungen selbst, sondern eher die Stimmungslage und das Verhalten der Israelis sowie das ihrer militärischen und politischen Führung vor, während und nach dem Sieg. Es versammelt auffallend viele und zum Teil allzu ausführliche Zitate aus Tagebüchern und Protokollen von Regierungssitzungen, die hier erstmals vorgestellt werden.
Diese streckenweise fast ermüdende Ausführlichkeit soll wohl auch den Umstand kompensieren, dass, wie der Autor im Nachwort selbst bedauert, das wirklich brisante Archivmaterial, etwa zur israelischen Besatzung und Atomfrage sowie zum Verhalten der israelischen Inlands- und Auslandsgeheimdienste, noch immer strenger Geheimhaltung unterliegt.
Beeindruckendes Panorama israelischer Befindlichkeit
Nichtsdestotrotz ist Segev ein beeindruckendes Panorama der israelischen Befindlichkeit und ihrer, wie er immer wieder betont, erstaunlichen Verwandlung in diesem einen Schicksalsjahr gelungen. Vor dem Krieg war die Stimmung in Israel an einem historischen Tiefpunkt angelangt, danach herrschte Siegeseuphorie – das Land war wie neugeboren.
Veranschaulicht wird dies anhand einer teils thematischen teils soziologischen Analyse, die das jeweilige Stimmungsbild der verschiedenen Gesellschaftsgruppen im damaligen Israel abbildet – von der aschkenasischen Elite über die schlecht integrierten und wirtschaftlich schwachen orientalischen Juden bis hin zu den israelischen Arabern, die bis 1966 noch unter Militärverwaltung lebten.
Seit der Staatsgründung ging die jüdische Einwanderung erstmals deutlich zurück, mehr Israelis denn je zuvor verließen das Land. Hinzu kamen die wirtschaftliche Rezession sowie die wachsende Kluft nicht nur zwischen den europäischen und den binnen eines Jahrzehnts zahlenmäßig stark angewachsenen orientalischen Juden, sondern auch zwischen der schon deutlich älteren Führung, meist ostjüdischer Herkunft, und der bereits in Palästina oder Israel geborenen Generation.
Marginalisierung arabischer Vernichtungspropaganda
Der zionistische Traum schien ausgeträumt: Das Vertrauen sowohl in die ältere Führung als auch in die für viel zu individualistisch gehaltene Jugend schwand zunehmend. Der Autor zeigt wenig Verständnis für die damalige Gemütslage seiner Landsleute.
Für ihn scheint die Krise größtenteils herbeigeredet, gleichwohl sie im Kern aus der nachvollziehbaren existenziellen Angst vor einem gesamtarabischen Militärangriff resultiert haben dürfte – allerdings kommt gerade dieser Aspekt bei Segev entschieden zu kurz. Das Buch marginalisiert die größeren und kleineren arabischen Überfälle auf Israel und die arabische Vernichtungspropaganda, die dem Krieg von 1967 jahrelang vorausgingen.
Ohne diese Vorgeschichte erscheint in Segevs Darstellung die relativ junge israelische Militärführung als eine Gruppe aktionistischer Kriegsbegeisterter – was sie gewiss auch, wenn auch von Fall zu Fall in unterschiedlichem Maße, war –, die sich gegen die ältere und besonnene politische Führung schließlich durchsetzte.
Dass der Präventivschlag für Israel von existenzieller Bedeutung war, dafür lieferten aus Sicht der Militärs nicht nur der ägyptische Truppenaufmarsch im Sinai, sondern auch die ägyptischen Kampfflieger den angeblich endgültigen Beweis, die kurz vor dem Krieg über der israelischen Atomanlage im südlichen Dimona kreisten.
Die schleichende Annexion
Das große Verdienst von Segev, auch wenn er diese These hätte noch prägnanter formulieren können, ist, dass er den Sechs-Tage-Krieg auch als eine Kompensation für die – aus israelischer Sicht – militärischen Versäumnisse im israelisch-arabischen Krieg von 1948 erklärt. Denn jetzt schien für viele Israelis – die sie noch erlebt hatten – die alte territoriale "Normalität" der britischen Mandatszeit wiederhergestellt, einschließlich des freien Zugangs zu Ostjerusalem und zur Westbank.
Dieser Umstand, neben der pseudo-religiösen oder auch geradezu messianischen Begeisterung über die Rückkehr zu den Gebieten des biblischen Erez Israels, liefert eine zusätzliche und neue Erklärung für die Selbstverständlichkeit und auch den Eifer, mit denen die Israelis in die Rolle der Besatzer drängten.
Die Okkupation der Palästinensergebiete wurde denn auch in nur wenigen Monaten von einer rein militärischen zu einer politischen Angelegenheit, so dass sie immer stärker auch von zahlreichen Ministerausschüssen koordiniert wurde.
Die schleichende Annexion, besonders die Ostjerusalems und dessen Umgebung, wurde gezielt durch die Täuschung der Medien verschleiert. Die israelische Führung bemühte sich zwar um Gespräche mit palästinensischen Vertretern sowie dem jordanischen König Hussein und dem ägyptischen Präsidenten Nasser, nahm dabei jedoch die arrogante Pose des Siegers ein und setzte mit ihren maximalistischen Forderungen letztlich den Bemühungen um Frieden ein Ende.
Tom Segevs Buch dokumentiert diese Entwicklung anschaulich. Für die Lektüre sollte man sich auf jeden Fall die Zeit nehmen.
Joseph Croitoru
© Qantara.de
Tom Segev: 1967. Israels zweite Geburt. Siedler Verlag, München 2007. 797 Seiten, 28 Euro.
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