Unwillkommenes Exil
"Ich will nach Hause", sagt Ali und reibt sich die Augen. "Die Ägypter können uns doch nicht festhalten." Ali, ein untersetzter Mittdreißiger, hat sich hinter der Menschentraube vor dem beigefarbenen Gebäude postiert und lässt den Blick kreisen. "Dieser Wahnsinn muss aufhören", brummt er.
Ali ist Mitte März mit seinem Bruder aus Jemens Hauptstadt Sanaa nach Kairo gekommen. Eigentlich, um ein paar Tage Urlaub zu machen: die Pyramiden, das Ägyptische Museum, der Tahrir-Platz standen auf dem Programm. Doch nur wenige Tage nach ihrer Ankunft brach der Krieg aus, das große Unglück, wie Ali das nennt.
Seit drei Wochen nun bombadiert die von Saudi-Arabien geführte Allianz Stellungen der Huthi-Rebellen im Jemen. Hunderte Menschen sind durch die Kämpfe schon ums Leben gekommen, 100.000 sollen auf der Flucht sein. Täglich werden es mehr. Und täglich schwindet Alis Hoffnung, bald in seine Heimat zurückzukehren. Deshalb protestiert er heute vor seiner Botschaft. Wie jeden Tag.
Ali ist einer von rund 5.000 Jemeniten, die derzeit in Kairo festsitzen. Viele davon sind Familien und ältere Menschen, die in Ägypten Ärzte konsultieren wollten oder operiert wurden. Für die Reise ins Nilland haben sie ihre Ersparnisse aufgebraucht. Und sehen sich nun ernsten Problemen ausgesetzt: Die Wohnungen in Kairo sind für sie kaum zu bezahlen, Lebensmittel und Wasser werden knapp.
Jemens Botschaft lässt verlauten, sie tue zwar alles, was sie könne, habe aber nicht genügend Ressourcen, um ihren Staatsbürgern zu helfen. Um Jemens und Ägyptens Regierung auf ihre prekäre Lage hinzuweisen, versammeln sich die Gestrandeten, wie sie sich nennen, täglich vor der jemenitischen Botschaft in einem Kairoer Wohnviertel. Frauen hocken auf dem Bürgersteig, Männer organisieren Sprechchöre, auf den selbst bemalten Pappschildern prangen die Schriftzüge: "Stoppt den Krieg in Jemen!"
"Lieber im Krieg sterben als verhungern"
Jemens Regierung müsse ihre Bürger nach Aden zurückholen, sagt Ali. Sein Bruder neben ihm nickt. "Wir können in Ägypten nicht arbeiten und bekommen kaum Unterstützung. Uns geht das Geld aus." Er fügt hinzu: "Lieber sterben wir im Krieg, als dass wir hier verhungern."
Ägypten hat den Jemeniten immerhin ein unbegrenztes Bleiberecht zugesagt. Wohl auch, weil die Regierung um Präsident Abdel Fattah al-Sisi ahnt, dass sich die Kampfhandlungen auf der Arabischen Halbinsel noch hinziehen könnten – Ägypten ist einer der stärksten Unterstützer des Einsatzes.
Offiziell pocht das Regime darauf, die Militäraktion der sunnitischen Verbündeten solle verhindern, dass die vom Iran gestützten schiitischen Huthi-Rebellen die Meeresstraße Bab al-Mandab unter ihre Kontrolle bringen. Vor allem für Ägypten ist der Bab al-Mandab essentiell. Hier passieren nahezu alle Schiffe, die hier durchfahren, auch den Suezkanal, der das Rote Meer mit dem Mittelmeer verbindet.
Experten hingegen sind der Ansicht, dass Al-Sisi es sich schlicht nicht erlaube könne, Saudi-Arabien seine Unterstützung zu verweigern. Zu groß sei Ägyptens Abhängigkeit von Riad und den Golfstaaten, die das Nilland seit dem Militärputsch von 2013 mit Geldspritzen vor dem Kollaps bewahren.
"Die Ägypter lassen sich von den Saudis kaufen", meint denn auch Waheeb, ein Ingenieur aus dem südjemenitischen Aden, der auf einem Plastikstuhl hockt und in seinem Tee rührt. "Arbeitslosigkeit, fehlende Investitionen, ausbleibende Touristen – die Armut lässt den Ägyptern keine Wahl."
Zunehmend prekäre Lage
Hier, in dem jemenitischen Restaurant wenige Straßen von der Botschaft entfernt, treffen sich in diesen Tagen dutzende Jemeniten, starren auf die flackernden Fernsehbilder, diskutieren die Nachrichten, besprechen ihre Nöte. Viele kommen wie Waheeb aus der Küstenstadt Aden, die, so berichtet es das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), mittlerweile einer Geisterstadt gleiche. Sie sorgten sich um die Angehörigen, sagt Waheeb, der wegen eines Geschäfttermins nach Kairo kam und Frau und Kinder zurückgelassen hat.
Zugleich werde auch die Lage in Kairo immer schwieriger, sagt er und deutet auf die Männer um ihn herum. "Wir fühlen uns wie Flüchtlinge." So verteile zwar eine Gruppe von jemenitischen Studenten und Geschäftsmännern privat Essen und Medikamente an die Bedürftigen. Viele aber müssten betteln oder seien auf Spenden angewiesen. "Die Ägypter haben doch selbst nichts", sagt er. "Was sollen sie uns geben?"
Das ist auch die Überzeugung vieler Ägypter. Denn auch wenn Präsident Al-Sisi versucht, die Bevölkerung für die Militäraktion zu gewinnen, etwa in Ansprachen daran erinnert, dass Saudi-Arabien den Ägyptern helfe, die wachsende Energiekrise im Land einzudämmen oder der Einsatz dafür sorge, die Sicherheit am Golf zu gewährleisten: Die Sorge der Ägypter, dass ihr Land zunehmend in einen Konflikt mit verheerenden Ausmaßen hineingezogen wird, wächst.
"Wir lernen nichts dazu!"
Arabische Kolumnisten verweisen auf die Kriegsangst im Land, kritischere Stimmen merken an, dass die Entscheidung des Militärs, sich an den Kämpfen zu beteiligen, ohne nationalen Konsens getroffen wurde. Und tatsächlich: Viele einfache Händler, Schuhputzer und Teeverkäufer in Kairo winken ab. Ihr Land habe schon genug Probleme, sagen sie. Vier Machtwechsel in vier Jahren, Proteste, Gewalt, dazu fast täglich Bombenanschläge. Ägypten brauche nicht noch einen Krieg im Jemen.
Der Krieg ist eine Katastrophe, raunt Abdullah, Kioskverkäufer unweit des Restaurants. "Die Araber zerfressen sich selbst", meint er. Er wolle Präsident Al-Sissi ja nicht kritisieren. "Aber wir lernen nichts dazu!"
So wie Abdullah erinnern sich viele ältere Ägypter an den letzten Einsatz Ägyptens im Jemen, der bis heute als kollektives Trauma im Gedächtnis geblieben ist: In den 1960er Jahren schickte Präsident Gamal Abdel Nasser zehntausende Soldaten in den Nordjemen, um dort den Putsch gegen die Monarchie zu unterstützen. Eine fatale Entscheidung, die mehr als 20.000 Ägypter das Leben kostete und Nasser eine katastrophale Niederlage bescherte. Bis heute sprechen Historiker von Nassers "Vietnam". "Wir kennen die Gefahren im Jemen", sagt Abdullah noch. "Das darf sich nicht wiederholen."
Andrea Backhaus
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