Hintergrund: Saudi-Arabien und Iran auf Annäherungskurs

Seit Jahren ringen Saudi-Arabien und der Iran in ihrer Nachbarschaft um Einfluss. Ein Außenministertreffen markiert nun den nächsten Schritt eines neuen Dialogs - der jedoch von Misstrauen geprägt sein dürfte.

Von Johannes Sadek & Arne Bänsch

Das Treffen könnte Umbrüche in der gesamten Golfregion mit sich bringen: Die Außenminister der beiden rivalisierenden Länder Iran und Saudi-Arabien kamen am Donnerstag in Peking erstmals seit sieben Jahren wieder zusammen. Auf Aufnahmen istzu sehen, wie sich Hussein Amirabdollahian und Faisal bin Farhan freundlich die Hände schütteln. Im Hintergrund klatscht Chinas Außenminister Qin Gang Beifall. Still und unter Ausschluss der Öffentlichkeit hat Peking den Neubeginn zwischen Riad und Teheran vermittelt.

Seit Jahren ringen das sunnitische Königreich Saudi-Arabien und der mehrheitlich schiitische Iran um Macht und Einfluss in ihrer Region. Ein Ende der Feindseligkeiten könnte eine gewaltige Kräfteverschiebung am Golf bedeuten. Der Iran hofft, mit der Annäherung seine angeschlagene Wirtschaft zu beleben und etwa Handelsbeziehungen im Energiesektor anzustoßen.

Angesichts internationaler Sanktionen steht die Staatsführung in Teheran unter massivem Druck. Zusätzlich stürzte eine im Herbst begonnene Protestwelle die politische und geistliche Führung des Landes in die schwerste Krise seit Jahrzehnten. Das gewaltsame und viel kritisierte Vorgehen des iranischen Sicherheitsapparats gegen Demonstranten trieb Teheran weiter in die politische Isolation. Irans Staatsführung warf Riad vor, die Aufstände mit Hilfe persischsprachiger Auslandssender anzuheizen.

Neue Perspektiven für Frieden und Zusammenarbeit in Nahost

Für Saudi-Arabien ist die Annäherung Teil eines neuen Pragmatismus. Unter faktischer Führung des ehrgeizigen Kronprinzen Mohammed bin Salman soll die Bedrohung durch den Iran soweit möglich beseitigt werden, um die Wirtschaft weiter umzubauen, Investitionen anzuziehen und Megaprojekte umzusetzen. Die Attacken auf zwei wichtige saudische Öl-Anlagen im September 2019, für die Riad den Iran verantwortlich machte, brachten die Hälfte der saudischen Ölproduktion zum Erliegen und zeigten die Verwundbarkeit des Königreichs.

Nach diesen Angriffen ist in Riad die Erkenntnis gereift, dass Saudi-Arabien sich selbst um seine Sicherheit kümmern muss – selbst mit den USA als weitaus größtem Waffenlieferanten und mit deren militärischer Präsenz am Golf. Vielleicht sei der Deal unter Vermittlung Chinas auch ein Versuch, die ins Abseits geratenen Amerikaner wieder stärker in die Region zu ziehen und sie zu mehr Sicherheitsgarantien zu bewegen, sagt Julien Barnes-Dacey vom European Council on Foreign Relations (ECFR). Diese könnte Riad im Gegenzug für eine Anerkennung Israels fordern.

 

 

Für die arabische Welt könnte die Annäherung die größten Umwälzungen seit den Aufständen ab 2011 bedeuten, womöglich auch verbunden mit mehr Stabilität. Vor allem im Jemen-Krieg, wo Riad und Teheran unterschiedliche Seiten unterstützen, stehen die Chancen auf eine Entspannung nun so gut wie seit Jahren nicht. Berichten zufolge soll der Iran bereit sein, seine Waffenlieferungen an die Huthi-Rebellen im Jemen einzustellen. Saudi-Arabien will deren Angriffe mit inzwischen Hunderten Drohnen und Raketen auf saudische Ziele unbedingt stoppen und sucht einen Ausweg aus dem kostspieligen Krieg.

China steigt zum diplomatischen Machtfaktor im Nahen Osten auf

In Syriens Bürgerkrieg unterstützte Saudi-Arabien wiederum Rebellen, sendet nun aber versöhnliche Signale an Präsident Baschar al-Assad, der eng verbündet ist mit dem Iran. Assad profitiert vom neuen Dialog und kann sein Land womöglich in die Arabische Liga zurückführen.

Die diplomatischen Beziehungen zwischen dem Iran und Saudi-Arabien waren 2016 zum Stillstand gekommen, nachdem Demonstranten in Teheran die saudische Botschaft angriffen. Ausgelöst wurden die Proteste durch die Hinrichtung des prominenten schiitischen Geistlichen Scheich Nimr al-Nimr in Saudi-Arabien.

Die langjährigen Spannungen werden sich durch die Wiederaufnahme der Beziehungen nicht sofort lösen. Eine Entsendung von Botschaftern muss auch keine tiefere Partnerschaft bedeuten. «Wir sollten diesen Deal nicht als Ausbruch einer großen Freundschaft lesen», erklärt Barnes-Dacey. Das Misstrauen auf beiden Seiten ist groß. Insofern, so die Lesart einiger Experten, hat der neue Dialog viel Potenzial – und dürfte gleichermaßen viel Arbeit erfordern, um es zu entfalten.

Bei Irans Erzfeind Israel schürt die Annäherung derweil Sorgen. Israels Ex-Ministerpräsident Naftali Bennett kritisierte die Wiederannäherung als «ein Scheitern der israelischen Bemühungen, eine Koalition gegen Teheran aufzubauen». Er sprach von einer «gefährlichen Entwicklung für Israel». Der Oppositionsführer Jair Lapid nannte den Deal «einen kompletten Fehlschlag» für das Land.

Als großer Gewinner der Annäherung beider Staaten wird auch China gesehen. Peking habe sich als «vertrauenswürdiger Vermittler in einer konfliktbeladenen Region profiliert», argumentieren etwa die Experten Trita Parsi and Khalid Aljabri im US-Journal «Foreign Affairs». «Der chinesische Erfolg wurde vor allem durch strategische Fehlentscheidungen der USA ermöglicht», schreiben die Autoren weiter.

Die US-Regierung sieht das zunehmende diplomatische Engagement Chinas verhalten positiv. Die Vermittlung zwischen dem Iran und Saudi-Arabien sei eine gute Sache, sagte jüngst der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan. «Es ist nicht grundsätzlich schädlich für die Interessen der USA, wenn andere Länder wie China eine Deeskalation vorantreiben.» (dpa)

 

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