Michael Lüders: Im Herzen Arabiens
"Alle redeten von der arabischen Einheit, aber im politischen Alltag fand sie jenseits der Rhetorik nicht statt - abgesehen von einer kurzen und unbedeutenden Episode, der Vereinigung Ägyptens und Syriens in den Jahren 1958 bis 1961. Es konnte nicht funktionieren. Jenseits von Sprache, Geschichte und der einigenden Religion des Islam … sind die kulturellen und ethnischen Unterschiede innerhalb der arabischen Welt gewaltig. Auch die politischen Gemeinsamkeiten etwa zwischen Algerien und Saudi-Arabien oder zwischen Tunesien und dem Irak sind äußerst gering, abgesehen von der allenthalben fehlenden Demokratie …“.
Michael Lüders, Orientalist und Publizist, erklärt, warum die "Arabische Liga“ ein Papiertiger geblieben ist, gleichzeitig erläutert er aber auch, warum sein Buch "Im Herzen Arabiens“ den Untertitel trägt: "Begegnung mit einer zerrissenen Kultur“. "Arabien“ ist nicht ein Land, eine Gesellschaft oder eine Kultur, die man in einem Buch logisch und systematisch sezieren und beschreiben könnte. "Arabien“ - das sind die Klischees, die wir im Westen von dieser Region haben, das ist aber immer wieder auch das genaue Gegenteil. Das ist Terrorismus und Sufi-Meditation, Diktatur und tolerante Menschlichkeit, Unterdrückung der Frau und betörende Erotik. Hass, Liebe, Stolz und Demut.
Überwältigender Arabien-Cocktail
Der Autor versteht es, all dies zu einem "Arabien-Cocktail“ zu mixen, der für den Neuling vielleicht etwas überwältigend ist, dafür aber umso unterhaltsamer, lehrreicher und vor allem verständlicher, je mehr der Leser den Orient bereits aus eigener Anschauung kennt. Michael Lüders reiht Reiseerzählungen und Anekdoten aus allen Ecken der Arabischen Welt aneinander, gemischt mit historisch-politischen Darstellungen und Überlegungen.
Oder auch einfachen, ironisch wirkenden, dafür aber sehr treffenden Beschreibungen. Wie die des Kairoer Taxifahrers, der nach einer guten Unterhaltung das Fahrgeld mit der Rechten zurückwies, es dann aber mit der Linken nahm: Einerseits wollte er den Fahrgast als Freund behandeln, andererseits hatte er eine Familie zu ernähren …
Von Kellnern und Politikern
Einfühlsam, verständnisvoll und kenntnisreich zeigt der Autor sich auf allen seinen Stationen im Orient - von Marokko bis nach Teheran und von Damaskus bis nach Khartoum. Und er versteht, dies zu vermitteln und dem Leser eine ähnliche Vorgehensweise nahe zu legen:
"Mir geht es um Analyse. Sachlichkeit ist die Voraussetzung, um vorbehaltlos zu verstehen. Und nur wer versteht, erkennt potentielle Gefahren, aber auch Spielräume für Verhandlungen und Diplomatie“. Wobei er dem Taxifahrer oder dem Kellner ebenso viel Respekt entgegen bringt wie dem Dichter oder dem Politiker. Vielleicht sogar etwas mehr.
Wenig Respekt hingegen zeigt Lüders gegenüber Kollegen seiner Zunft, die vorgefasste Meinungen weiter verbreiten, statt die Dinge selbst zu ergründen und kennen zu lernen. Ähnlich ablehnend zeigt er sich gegenüber den Islamisten:
"Ihr Autismus langweilt mich ebenso wie die Selbstgerechtigkeit der Lordsiegelbewahrer des christlichen Abendlandes, die unentwegt von der Verteidigung westlicher Werte schwadronieren und in erster Linie ihre eigenen Privilegien meinen …“
Riskante Gratwanderung
Trotz solch guter und durchaus ehrenhafter Ansätze - oder gerade ihretwegen - macht Lüders aber gelegentlich auch eine riskante Gratwanderung. Etwa, wenn er sich über die jüngsten Entwicklungen im Irak auslässt. Zum Beispiel. "Im Irak rasen zwei Züge aufeinander zu. Auf der einen Seite gelingt es der amerikanischen Kontrollmacht nicht, die Bevölkerung für sich zu gewinnen. Gleichzeitig ist Washington nicht gewillt, die Verantwortung im Land an die Vereinten Nationen zu übergeben …“ Kurzlebige Feststellungen vielleicht, die die sonstige "Haltbarkeit“ dieses Buches gefährden könnten.
Noch etwas riskanter wird es, wenn der Autor auf den israelisch-palästinensischen Konflikt zu sprechen kommt. Angesichts gerade der jüngsten Entwicklungen dort ist eine gewisse Parteinahme durchaus legitim. Muss, ja darf sie aber so weit gehen, dass das Erstarken radikaler Gruppen wie "Hamas“ und "Islamischer Jihad“ Israel angelastet wird, welches mit seiner "auf Vorherrschaft ausgerichteten Politik Palästinenser und Libanesen radikalisiert“ hat? Die Islamisten werden verharmlost, indem sie nur "in der westlichen Wahrnehmung“ als Terror-Organisationen dargestellt werden, deren Ziel es ist, Israel zu vernichten.
Muslimischer Martin Luther?
Ein paar erläuternde und - vor allem - offene Worte über die Ideologie dieser Organisationen hätten dem Buch nicht geschadet. So, wie Lüders sie zu fast allen Problembereichen der Arabischen Welt gekonnt beisteuert. Von den gesellschaftlichen und machtpolitischen Strukturen moderner arabischer Staaten über deren kulturelle Probleme mit dem Westen bis hin zu Radikalismus und Terrorismus.
Und natürlich auch der Frage nach Demokratie und Reform. Auch der Religion: "Möglicherweise wird es im Islam niemals einen 'Big Bang’ geben, einen muslimischen Martin Luther, der als Einzelner ein Fanal setzt. Aber das ist nicht entscheidend. Viel wichtiger ist die Erkenntnis: Und sie bewegt sich doch.“
Peter Philipp
© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2004
Michael Lüders
Im Herzen Arabiens
Herder, 2004
ISBN 3-451-28347-6
19.90 EUR