Schlechte Werbung für EU-Beitrittsziel

Vor dem Eintreffen der EU-Troika in Ankara sorgte die Türkei für Negativ-Schlagzeilen: In Istanbul prügelten Polizisten auf Frauen ein, die zum Weltfrauentag protestieren wollten. Baha Güngör kommentiert

Vor dem Eintreffen der EU-Troika in Ankara sorgte die Türkei für Negativ-Schlagzeilen: In Istanbul prügelten Polizisten auf wehrlose Frauen ein, die anlässlich des Weltfrauentags protestieren wollten. Offizielle Begründung: Die Demo sei nicht angemeldet gewesen. Ein Kommentar von Baha Güngör

Foto: AP
Schlechtes Image für Ankara - Polizeigewalt gegen friedliche Demonstrantinnen.

​​Der inzwischen als typisch geltende Reflex ist wieder einmal aktiviert: Gerade in Zeiten, in denen die Türkei eigentlich gute Fortschritte in Richtung Europäische Union verzeichnet, gibt es wieder einmal Zeichen für einen Rückfall in alte Zeiten. Was in den letzten Tagen an Berichten und Bildern aus der Türkei kommt, erhöht das Risiko von Sympathieverlusten für die Türkei in Europa.

Wenn die türkische Polizei mitgespielt hätte, dann hätten europäische Medien am vergangenen Wochenende am Beispiel von Demonstrationen in Istanbul durchaus positiv über Reformen zugunsten der türkischen Frauen in den letzten Monaten berichten können.

Im Rahmen dieser Reformen gab es schließlich schon viel Applaus aus Europa für die Bemühungen der Türkei, die Gleichstellung der Geschlechter juristisch auf ein zeitgenössisches Niveau zu heben.

Mit Schlagstöcken gegen friedliche Demonstranten

Doch es kam anders: Just vor dem Treffen der EU-Troika zur Lagebesprechung mit dem türkischen Außenminister Abdullah Gül am 7. März prügelten bis auf die Zähne bewaffnete türkische Polizisten auf wehrlose Demonstrantinnen in Istanbul ein. Sie schlugen vor laufenden Kameras erbarmungslos mit Schlagstöcken zu und scheuten auch nicht vor Fußtritten gegen wehrlose Frauen zurück.

Diese Bilder stärken in Deutschland und Europa die Gegner einer Heranführung der Türkei an Europa - ebenso wie die beharrliche Unterbindung einer öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Tod von Hunderttausenden Armeniern 1915 oder das gerichtliche Vorgehen von Regierungschef Recep Tayyip Erdogan gegen missliebige Karikaturisten.

Hinzu kommen übereifrige Staatsbeamte, die wissenschaftliche Namen von Tieren als angebliche Bedrohung für die Einheit von Land und Volk auf den Index setzen mit der Behauptung, diese Namen seien kurdischen oder armenischen Ursprungs.

Statt sich immer wieder über die massiven Widerstände gegen einen türkischen EU-Beitritt in Europa aufzuregen, sollten die türkischen Verantwortlichen besser selbst aktiv werden und Missstände bekämpfen.

Wenn im türkischen Ministerium für Umwelt und Forstwirtschaft der wissenschaftliche Namen wie 'Vulpes Vulpes Kurdistanicum' (für Rotfuchs) oder 'Ovis Armeniana' (für Wildschaf) ernsthaft als Gefährdung der nationalen und territorialen Einheit verstanden werden, dann gibt das Anlass zu Besorgnis über die Ernsthaftigkeit der türkischen Europa-Visionen.

Wie aus der türkischen liberalen Tageszeitung "Radikal" hervorgeht, wird in Ankara tatsächlich gedacht, ausländische Wissenschaftler hätten die Tiernamen einst bewusst so festgelegt, um ihre Vorurteile gegen die Türkei zu zementieren.

Selbstkritik und politischer Wandel gefragt

Statt sich mit derart absonderlichen Argumenten zu beschäftigen, sollte in Ankara lieber selbstkritisch gefragt werden: Werden nicht umgekehrt bestehende Vorurteile gegen die Türkei zementiert, wenn wohlgemeinte Rückfragen nach dem Stand der Reformbemühungen und ihrer Umsetzung als europäische Arroganz und Bevormundung abgetan werden?

Ebenso wie gefragt werden muss, wie brutale Schläge von Polizisten auf Frauen sich mit dem Ziel einer modernen, europäischen Türkei vertragen. Die Zeit wird knapp bis zum 3. Oktober, dem anvisierten Termin für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und der Türkei.

Wenn sich die türkische Staatsführung nicht schnellstens eines besseren besinnt, wird eine 90prozentige Mehrheit in der französischen Regierungspartei UMP gegen einen türkischen EU-Beitritt in ganz Europa auf mehr Verständnis stoßen als die Argumente für eine europäische Perspektive der Türkei.

Schließlich befindet sie das Land an der Schnittstelle zwischen den Kulturen und Religionen und gilt - noch - als Musterbeispiel für die Koexistenz von weltlicher Demokratie und islamischer Volksreligion.

Baha Güngör

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2005

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