Ein Diktator in Berlin
Bundeskanzlerin Angela Merkel rollt dieser Tage den roten Teppich für einen ausländischen Regierungschef aus, der darauf lange sehnsüchtig gewartet hat. Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi ist seit einem Jahr an der Macht. Er hat sich mit 97 Prozent der Stimmen zum Staatschef wählen lassen. Aber an internationaler Anerkennung fehlte es ihm und seinem Regime von Anfang an. Da ist ein Besuch in der deutschen Hauptstadt mit einem Empfang durch die derzeit mächtigste Frau der Welt weit mehr als ein Händeschüttel-Termin.
Es ist ein Meilenstein auf Sisis Weg in die ersehnte internationale Salonfähigkeit, ein wichtiger Schritt. Sisis Berlinbesuch wird ihn politisch stärken. Das wird von der Bundesregierung nicht bestritten, aber mit einem abwägenden Kalkül gerechtfertigt, dem man sich als Beobachter schwer ganz verschließen kann: Natürlich muss die deutsche Regierung mit strategisch wichtigen Staaten des Nahen Ostens Beziehungen unterhalten. Auch mit autoritären. Aber die Handreichung für Sisi ist nicht nur aus menschenrechtlicher Sicht heikel. Sie bedeutet auch machtpolitisch keinen Gewinn. Im Gegenteil, der künftige deutsche Einfluss in dieser wichtigen Region wird dadurch eher unterminiert.
In Ägypten wird zunehmend ein vom Sisi-Regime geförderter Diskurs gepflegt, wonach der Sturz seines Vorgängers Hosni Mubarak 2011 eine Verschwörung des Westens mit vermeintlichen ägyptischen Verrätern gewesen sei - mit säkularen Jugendgruppen, die die Massenproteste von 2011 initiiert hatten; oder mit der Muslimbruderschaft, die es nach Mubaraks Sturz kurzzeitig an die Macht geschafft hatte. Ziel der Verschwörer sei es gewesen, Ägypten politisch wie wirtschaftlich zu zerstören, dem Land seine historische Führungsrolle in der Region zu verwehren und es auf diese Weise für westliche Interessen in der Region gefügig zu machen.
Sisis Unterstützung im Volk basiert auf seinem Anspruch, Ägypten vor diesem Bedrohungsszenario zu retten: Indem er dem angeblichen inneren Feind den "Krieg gegen den Terror" erklärt, indem er die wirtschaftliche Misere und Armut mittels nationaler Infrastruktur-Großprojekte überwinden und Ägypten zu seiner ihm zustehenden Führungsrolle in der Region zurückführen will.
Al-Sisis doppeltes Spiel
Sisi steht jedoch vor einem Dilemma. Während ihn innenpolitisch eine Propaganda mit explizit anti-westlichem Charakter trägt, ist er dennoch auf Hilfszahlungen, Investitionen und Waffenlieferungen aus dem Westen angewiesen. Auch wenn die arabischen Golfstaaten seit dem Sturz des islamischen Präsidenten Mursi ihre finanzielle Unterstützung für das Land massiv erhöht haben, kann Sisi dennoch nicht auf den Westen verzichten.
So versucht das Regime, seine Politik nach außen hin als etwas anderes zu verkaufen, als was sie ist: Sisi präsentiert die Repression seines Regimes als Unterstützung für den Kampf des Westens gegen islamistischen Terror. Er insinuiert, dass es eine breite, wenn nicht völlige Konvergenz zwischen seinen Sicherheitsinteressen und denen westlicher Regierungen gebe. Der Aufstieg des IS und anderen gewaltbereiten Gruppierungen vor allem in Syrien, dem Irak oder Libyen spielt ihm dabei in die Hände.
Aber die deutsche Regierung würde einen Fehler begehen, wenn sie dem Sisi-Regime dies abkaufen und Sisi dabei helfen würde, sich als Garanten für Stabilität und Sicherheit zu präsentieren. Denn das ägyptische Regime zielt mit seiner Repressionswelle im Inneren auch auf diejenigen pro-demokratischen Gruppen, die Deutschland nach dem Arabischen Frühling eigentlich unterstützen wollte. Das Verständnis von Terrorismus und Sicherheit der deutschen und der ägyptischen Regierung gehen spätestens dort auseinander, wo der Westen als vermeintlicher Kollaborateur der Muslimbruderschaft und der Jugendgruppen der Anti-Mubarak-Revolution in einer gemeinsamen Verschwörung zur Zerstörung Ägyptens porträtiert wird. Er wird so Teil des Bedrohungsszenarios, gegen das vorgegangen werden soll.
Verschwörungtheorien gegen den Westen
Die Chancen stehen derweil nicht unbedingt gut, dass das ägyptische Regime die Förderung antiwestlicher Rhetorik aus pragmatischen Überlegungen aufgeben könnte: Im ägyptischen Volk ist die Forderung nach außenpolitischer Unabhängigkeit vom Westen stark ausgeprägt. Bereits in der Dekade vor Mubaraks Sturz entzündeten sich Proteste im Volk nicht nur an Mubaraks Autoritarismus, sondern auch an seiner "Käuflichkeit" gegenüber dem Westen und der Unterordnung ägyptischer Interessen im Nahen Osten unter westliche Interessen. Während der Massenproteste von 2011 forderten Aktivisten Mubaraks Sturz auch deshalb, weil er eine Marionette der Amerikaner sei. Hinzu kommt, dass Sisis Rhetorik dem gegenwärtigen Trend in den Herrscherhäusern der mit Ägyptens Militär verbündeten Golfstaaten entspricht. Sie wollen die Abhängigkeit vom Westen verringern.
Das politische System in Ägypten ist nicht mehr nur autoritär, sondern es beginnt totalitäre Züge aufzuweisen: Das Sisi-Regime mobilisiert die Individuen, als Arm des Staates innerhalb der Gesellschaft zu fungieren. Um einen Beitrag in Sisis Krieg gegen den Terror zu leisten, sind die Bürger aufgerufen, "feindliche Elemente" an jeder Ecke aufzuspüren und zu denunzieren.
Noch wird dieses Regime zwar von großen Teilen der ägyptischen Bevölkerung unterstützt, aber wie lange noch, das ist fraglich. Willkürliche Polizeigewalt - die schon 2011 Triebfeder für die Massenproteste gegen Mubarak war - grassiert erneut und trifft wieder zunehmend politisch nicht aktive und nichtislamistisch orientierte Durchschnittsbürger.
Die in der ägyptischen Geschichte beispiellose Unterdrückung der Muslimbruderschaft und anderer Islamisten radikalisiert die islamistische Gemeinschaft zunehmend: Mehrere Hundert von ihnen wurden seit Mursis Sturz bereits in Massenprozessen zum Tode verurteilt, und wie viele seither inhaftiert wurden, weiß überhaupt niemand mehr sicher zu sagen. Das Sisi-Regime ist dabei offensichtlich nicht in der Lage, die Gewalt, die es selbst produziert, in Schach zu halten.
Die Strategie westlicher Staaten, auf Diktatoren zu setzen, um auf diese Weise wenigstens Sicherheit und Stabilität im Nahen Osten zu erreichen, ist schon einmal gescheitert. Wenn die Massen wieder auf Kairos Straßen gehen, um zu protestieren, soll dann die Bundesregierung erneut auf der falschen Seite stehen? Wenn sie bis dahin auch noch ein Regime aktiv unterstützt, das die Verbreitung antiwestlicher Polemik strukturell betreibt, wird die deutsche Politik doppelt absurd.
Annette Ranko
© Süddeutsche Zeitung 2015
Annette Ranko ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am GIGA Institut für Nahost-Studien mit dem Zuständigkeitsbereich "Islamismus, islamische Bewegungen". Im Juni 2014 wurde ihr Buch "Die Muslimbruderschaft: Porträt einer mächtigen Verbindung" im Verlag edition Körber-Stiftung veröffentlicht.