Den Ball flach halten
Die Aufregung einiger Muslime über der Schalke-Hymne wegen angeblicher Beleidigung des Propheten Mohammed ist überzogen. Bedenklich ist jedoch, dass rechte Gruppen die Kontroverse für ihre Ressentiments gegen Muslime zu instrumentalisieren versuchen, meint Aiman Mazyek.
Die Schalke-Hymne, die für manche Muslime der Anstoß für Proteste darstellte, geht nach Angaben des Deutschen Volksliedarchivs auf das Jägerlied "Lob der grünen Farbe" zurück, das Ludwig Karl Eberhard Heinrich von Wildungen bereits 1797 geschrieben hat.
Darin heißt es in der vierten und fünften Strophe: "Mahomed ist mein Patron! / Aechte Schönheit kannt' er schon; / Er, dem aus der Farbenschaar / Nur die grüne heilig war. // Leben soll er, Herr Prophet, / Der auf Farben sich versteht! ..."
Das Lied – sozusagen ein Stück deutsch-islamischer Heimatgeschichte – ist bis heute sehr beliebt und wurde über die Jahre hinweg immer wieder umgetextet, auch von vielen Schützen- und Fußballvereinen, darunter auch Schalke 1963.
Einige deutsche Fußballvereine singen heute übrigens noch die (ursprüngliche) Originalstrophe, wie z.B. der SV DJK Unterspiesheim e.V. Wer hätte das gedacht?
Keine Verhöhnung des Propheten
"Mohammed war ein Prophet, der vom Fußballspielen nichts versteht, doch aus all der schönen Farbenpracht, hat er sich das Blau und Weiße ausgedacht."
Diese umgetextete Schalker Hymne ist weder eine Blasphemie, noch ist sie eine Verhöhnung des Propheten. Manche Muslime haben auch gar nicht am Liedtext Anstoß genommen; sie konnten sich schwerlich vorstellen, dass grölende Fußballfans einen Text singen, wonach angeblich der Prophet die Farbe Blau und Weiß als seine Lieblingsfarben auserkoren hat.
Die Ironie dabei ist: Der Prophet hatte überhaupt keine Lieblingsfarbe gehabt, selbst die Farbe Grün nicht. Wir sollten daher also unseren Humor bewahren: Es ist schließlich nur eine Fußballhymne, die erwähnt, dass der Prophet nichts vom Fußball versteht.
Das ist ja nicht falsch, schließlich lebte Muhammad – Friede sei mit ihm – lange vor der Erfindung des Fußballs. Der Prophet hätte heute darüber wahrscheinlich ebenso zustimmend gelacht.
Klima der Polarisierung
Der ernste Hintergrund ist aber doch gegeben durch die schrecklichen Ereignisse in Dresden, wo eine Muslima mit Kopftuch wegen Islamhass im Gericht vor den Augen ihres Ehemannes von dem Angeklagten und des Richters regelrecht niedergemetzelt wurde.
Viele Muslime sind seit dem Mord an der Muslima Marwa El-Scherbini verunsichert und bei einigen liegen die Nerven blank. Heißsporne haben dadurch einfaches Spiel und instrumentalisieren die Geschichte. Nach dem Motto: Man respektiert uns Muslime nicht, wir werden hierzulande stets wie Aussätzige behandelt, und da kommt die Hymne – im verkehrten Licht betrachtet – einigen gerade recht. Diese Vorgehensweise wird dem Opfer in Dresden nicht gerecht und lenkt zudem von der real existierenden Islamfeindlichkeit ab.
Die "Scharfmacher" könnten allerdings auch aus einer ganz anderen Richtung kommen. In der Fan-Szene und in einigen Internetforen wurde spekuliert, Rechte hätten die Proteste mit organisiert, um unter den Schalke-Fans Ausländerfeindlichkeit zu schüren. Dies berichte vor einigen Tagen z.B. "tagesschau.de".
Eine gewagte These, die aber bei näherer Betrachtung gar nicht mehr so unglaublich klingt, denn wer kann genau sagen, wer hinter den vielen anonymen Drohmails steckt, die die Geschäftsführung von Schalke 04 erhielt? Könnten es nicht auch Neonazis gewesen sein? Seit Jahren ist zu beobachten, dass rechte Gesinnungstäter sich besonders hinter der Anonymität des Internets verstecken und dort verstärkt gegen Juden und Ausländer hetzen.
Islam als erklärtes Feindbild der Rechten
Das Streichen von Passagen des Schalker Liedes gliche plötzlich einer Tilgung deutsch-islamischer Heimatgeschichte. Und das Vorbild deutsch-türkischer Freundschaft des Traditionsvereins Schalke 04 wäre diskreditiert. Ein durchaus plausibles Motiv für Rechte.
Ein weitere Gedanke spräche für diese These: Ein wirklich energischer Protest der Muslime und eine in Aussicht gestellte Streichung eines Teiles der Hymne hätte als Kniefall vor den Fanatikern gewertet werden können.
Diesen Vorgang hätten Neonazis dann als weiteren Beleg für die angebliche schleichende Islamisierung Deutschlands für sich verbuchen können. Denn man muss wissen, dass das Schüren der Angst vor dem Islam eines der Lieblingsthemen der Rechten geworden ist und sie versuchen insbesondere vor Wahlen dadurch Bürger zu mobilisieren.
So geschehen in Thüringen vor einigen Tagen, wo die NPD ihren Wahlkampfauftakt mit so genannte Mahnwachen vor Moscheen abhielt, in Köln, wo "PRO KÖLN" gegen dem Moscheebau beinah täglich wettert und in Bochum und Gelsenkirchen, wo rechte Gesinnungstäter gerade versuchen, die Schalker Posse für ihren Rassenhass und ihre Ressentiments gegen Muslime zu instrumentalisieren.
Dieses im Blick war es im Nachhinein klug und nachsichtig von der Schalker Führung, den Ball flach gehalten zu haben. Dennoch sollte die Schalker Führung alsbald das Gespräch mit den Muslimen suchen, nicht zuletzt im eigenen Interesse und im Interesse ihrer türkischen Fans und aktiven Spielern.
Auf Schalke wird seit Jahren erfolgreich Integrationsarbeit geleistet. Schalkes Führung kann also auf die Irritation selbstbewusst eingehen und wir hoffentlich bald wieder ein schönes Fußballspiel genießen.
Dafür gibt es schon diesen Samstag Gelegenheit: Schalke empfängt im Ruhrpottschlager seinen Nachbarn und Rivalen Bochum.
Aiman Mazyek
© Qantara.de 2009
Aiman Mazyek ist Generalsekretär des Zentralrats der Muslime in Deutschland. Der Sohn eines Syrers und einer Deutschen studierte in Aachen Philosophie, Volkswirtschaft und Politikwissenschaft und in Kairo Arabistik. Zusammen mit Rupert Neudeck gründete er die Hilfsorganisation 'Grünhelme'. Mazyek engagiert sich auch intensiv im christlich-islamischen Dialog und ist Mitglied der Christlich-Islamischen Gesellschaft. Darüber hinaus ist er als Lokalpolitiker in der FDP tätig.
Qantara.de
Moscheebau in Köln
Aufstand gegen rechtsextreme Demagogen
Nach Ansicht von Lale Akgün, Bundestagsabgeordnete und Islam-Beauftragte der SPD, steht die Mehrheit der Kölner Bürger uneingeschränkt hinter dem Moscheebau in Köln - daran ändere auch der geplante "Anti-Islam-Kongress" nichts. Mit Lale Akgün sprach Loay Mudhoon.
Kommentar zum Streit um Moschee-Bau in Köln
Recht auf freie Religionsausübung
In Köln ist der Bau einer Moschee zu einer emotional geführten Debatte eskaliert. Wenn die Mehrheitsbevölkerung das Recht auf freie Religionsausübung behindert, dann trägt auch sie die Verantwortung für fehlende Integration, sagt Peter Philipp.
Anti-islamische Bewegungen in Deutschland
"Islamophob – und stolz darauf"
Fundamentalistische Christen hetzen mit populistischen Parolen gegen Muslime– für sie die neue Gefahr in Europa. Die Besucherzahlen mancher ihrer Internetseiten sind erschreckend hoch. Claudia Mende hat recherchiert.