Erdogans Machterhalt ist in Putins Interesse
Russlands Angriffskrieg in der Ukraine hat die Regierung in Moskau in kürzester Zeit isoliert, vor allem bei westlichen Industriestaaten. Dem russischen Präsidenten Wladimir Putin sind nicht viele Partner mit Gewicht geblieben. Ein Partner, mit dem die Kommunikation noch klappt, ist die Türkei. Putin und sein Kollege Recep Tayyip Erdogan pflegen seit Jahren eine enge Beziehung.
Ende 2021 sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow, dass Erdogan und Putin eine "Freundschaftsbeziehung" hätten. Erdogan sprach im vergangenen November von einer "Beziehung des Vertrauens" mit Putin.
Den Kriegsbeginn hat Erdogan dann geschickt dazu genutzt, um seinen Einfluss auszubauen: Als kaum noch diplomatische Kanäle nach Russland offen waren, hat sich Ankara als Vermittler zwischen Moskau und Kiew angeboten und ist bis heute der Hauptakteur, mit dem beide Seiten gerne reden.
Hochrangige Treffen zwischen den Ukrainern und Russen haben in der Türkei stattgefunden: Am 10. März 2022 haben sich die ukrainischen, russischen und türkischen Außenminister in Antalya getroffen. Nach knapp zwei Wochen verhandelten die Delegationen dann in Istanbul. Das Getreideabkommen, das den Export von ukrainischem Weizen über das Schwarze Meer ermöglicht, wurde im Juli unter Vermittlung von UN und Türkei ausgehandelt und in Istanbul unterzeichnet.
"Für Russland ist die Türkei das Fenster zur Welt"
So habe der Krieg in der Ukraine dazu beigetragen, dass sich die türkische und die russische Führung weiter angenähert hätten, bestätigt der Außenpolitik- und Energieexperte Aydin Sezer. "Für Russland ist die Türkei wie das Fenster zur Welt. Die Beziehung zu Ankara ist sehr wichtig und wertvoll für den Kreml."
Und damit das so bleibt, sähe es die Führung in Moskau gern, wenn die Regierung in Ankara bei den Wahlen am 18. Juni bestätigt würde. Putin habe verstanden, so Sezer, "dass es dem Interesse Russlands dient, wenn ein Anführer wie Erdogan die Türkei regiert".
Moskau hat deshalb in jüngster Zeit mehrfach versucht, die amtierende türkische Regierung zu unterstützen. Beispielsweise stundete der russische Staatskonzern Gazprom der Türkei die Schulden aus dem Gaskauf.
Das mache Russland nicht "einfach so", sondern aus eigenem Interesse, sagt ein emeritierter türkischer Diplomat, der anonym bleiben will, der Deutschen Welle (DW). Und im Oktober schlug Putin vor, die Türkei könne zu einem sogenannten Energie-Hub gemacht werden. Das hieße, russisches Gas würde über die Türkei an europäische Verbraucher geliefert - eine Win-Win-Situation für beide Präsidenten.
Putin braucht Erdogan - und Erdogan braucht Putin
Die politische und wirtschaftliche Unterstützung aus Russland ist für das Überleben der regierenden türkischen Partei AKP umso wichtiger geworden, seit sie Schwierigkeiten mit der EU und den USA hat, betont die Expertin für internationale Beziehungen Hande Orhon Özdag im Gespräch mit der DW. Seit mehreren Jahren gibt es Unstimmigkeiten und Spannungen zwischen der Türkei und dem Westen. Sowohl die türkisch-europäischen als auch die türkisch-amerikanischen Beziehungen hätten sich verschlechtert.
"Der Ukraine-Krieg bietet der AKP die Gelegenheit, die wirtschaftlichen Beziehungen mit Russland zu vertiefen, weil sich die Türkei nicht an den Sanktionen der USA und der EU beteiligt." Putin habe Erdogan zwei wichtige Dinge ermöglicht: "Politische Beliebtheit durch das Getreideabkommen und wirtschaftliche Unterstützung im Zusammenhang mit Gas." Und das sei genau das, was die AKP vor den Wahlen brauche, denn ihre Beliebtheit beim Wahlvolk nehme ab.
President @RTErdogan:
"As Russia-Türkiye-Syria, we have initiated a process. We will bring our foreign ministers together, and then we will come together as leaders, depending on the developments."— Republic of Türkiye Directorate of Communications (@Communications) January 5, 2023
Die demokratische Opposition ist unerwünscht
Es ist keineswegs ausgemacht, dass die politischen Verhältnisse in der Türkei bleiben, wie sie sind. Erdogan möchte bei den Präsidentschaftswahlen im Amt bestätigt werden. Doch die Umfragen legen keinen einfachen Sieg nahe - die Opposition könnte tatsächlich gewinnen und dem Land nach über 20 Jahren einen Führungswechsel bescheren.
In Russland dagegen habe die Erdogan-Regierung ein gutes Image, sagt der türkische Politikwissenschaftler Ümit Nazmi Hazir, der in Moskau forscht. "Putin und Erdogan haben ein seit zwanzig Jahren bestehendes Verhältnis. Beide kennen sich und können direkt kommunizieren." So könnten sie ihre Anliegen einfacher durchsetzen.
Sollte bei den Wahlen in der Türkei die Opposition siegen, würde das auch deshalb russischen Interessen widersprechen, so der Politikwissenschaftler Hazir, weil die neue Regierung möglicherweise demokratischer aufgestellt wäre: "Dann wird die Fähigkeit Russlands abnehmen, die Türkei zu steuern. Man wird dann mit mehreren Akteuren reden müssen."
Rivalität zwischen Moskau und Ankara wegen Syrien
Es gibt allerdings auch Konfliktpotenzial und Meinungsverschiedenheiten zwischen Moskau und Ankara. Beide Länder sind zum Beispiel mit eigenen Soldaten im Syrien-Krieg involviert und unterstützen verfeindete Gruppierungen. Russland ist traditionell der wichtigste Verbündete des syrischen Regimes und die Türkei unterstützt Teile der syrischen Opposition wie die Freie Syrische Armee, während sie gleichzeitig militärisch gegen Kurden in Nordsyrien vorgeht.
Es zeichnet sich aber eine Verständigung zwischen beiden Länder ab. Nach Jahren scharfer Rhetorik gegenüber dem syrischen Machthaber Baschar al-Assad hat Erdogan jetzt seinen Ton gemildert. Die Türkei kündigte an, bald mit Syrien Friedensgespräche führen zu wollen, Russland werde auch dabei sein. "Zuerst werden unsere drei Außenminister zusammensitzen und dann wir, als drei Anführer", so Erdogans Ankündigung am Donnerstag, den 5. Januar.
Viele Beobachter sehen die Annäherung zwischen Russland und der Türkei jedoch skeptisch. Ankara mische sich in Moskaus Einflusssphäre ein, sagt Hazir. Und der Osteuropaexperte Zaur Gasimov von der Universität Bonn ergänzt, dass Erdogan begonnen hat, "eine viel aktivere Politik im postsowjetischen Raum und im Nahen Osten zu spielen". Sich damit abzufinden, falle Russland nicht leicht.
Im Gespräch mit der DW kommt Gasimov zu dem Schluss: "Der Kreml betrachtet die Türkei nicht als Verbündeten. In Syrien, im armenisch-aserbaidschanischen Konflikt und in Libyen hat der Kreml absolut andere Ziele als die Türkei. Der Kreml betrachtet die Türkei eher als einen rivalisierenden Partner."
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Mitarbeit: Gülsen Solaker