Fluchtpunkt reicher Russen
Wo findet man in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) russisches Essen? Wo praktizieren russischsprachige Ärzte? Es sind Fragen wie diese, die die Leser des in Dubai ansässigen Lifestyle-Magazins "Russian Emirates" interessieren. Doch im Zentrum des Interesses steht eine andere Frage: "Kann ich die Staatsbürgerschaft der VAE erhalten?" Sie wurde auf der Webseite des russischsprachigen Magazins bereits über 83.000 Mal angeklickt.
Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine und den daraufhin von westlichen Staaten verhängten Sanktionen hat sich die Zahl der Leser auf der Website des Magazins mit fast 300.000 Aufrufen in nur einer Woche nahezu verdoppelt. Der Trend dürfte sich fortsetzen, nehmen Experten an. Denn viele Russen suchten nach Möglichkeiten, die von den westlichen Staaten gegen Russland verhängten Sanktionen zu umgehen und ihren Wohlstand angesichts eines möglichen Staatsbankrotts in Sicherheit zu bringen. Einige weitere dürften zudem wohl versuchen, der aus ihrer Sicht zunehmend gefährlichen politischen Situation in ihrer Heimat zu entkommen.
Ein Insider der Ölindustrie, der diesen Monat das Emirat Dubai besuchte und seinen Namen nicht veröffentlicht sehen will, berichtet gegenüber der Deutschen Welle von einer spürbaren Veränderung der Atmosphäre. "Man hat das Gefühl, dass der Krieg den Zufluss von russischem Kapital nach Dubai enorm verändert. Viele Russen verlassen ihr Land und suchen nach sicheren Orten für ihr Kapital", so sein Eindruck.
Medienberichten zufolge bewegen sich manche russische Oligarchen mit Privatjets zwischen Moskau und Dubai hin und her. Eine ukrainische Zeitung berichtete über den Verdacht des nationalen Geheimdienstes, russische Oligarchen versuchten ihr Privateigentum nach Dubai in Sicherheit zu bringen. Auf Grundlage offen zugänglicher Websites zum Seeverkehr entdeckten Open-Source-Ermittler zudem mehrere in Dubai vor Anker liegende Superjachten. Da die VAE nicht die gleichen strengen Sanktionen gegen Russland verhängt haben wie westliche Länder, gelten diese dort als sicher.
“Having a Russian passport or Russian money now is very toxic — no one wants to accept you, except places like Dubai,” said a Russian businessman who took refuge there” #UAE #Dubai #corruption #Russia #oligarchs https://t.co/3aODJDrzds
— Jodi Vittori (@j_vittori) March 9, 2022
Dubai – Drehscheibe für das Geld russischer Oligarchen
Trotz ihrer langjährigen sicherheitspolitischen Beziehungen zu den USA versuchen die VAE im Krieg zwischen Russland und der Ukraine neutral zu bleiben. Entsprechend sei die Zahl der Informationsanfragen aus Russland gestiegen, erklärten russischsprachige Unternehmensberater in Dubai gegenüber internationalen Medien.
"Dubai könnte zu einer noch größeren Drehscheibe für das Geld russischer Oligarchen werden", sagt Jodi Vittori, die an der Georgetown University in Washington zu Korruption, illegalen Finanzströmen und der Schwäche staatlicher Institutionen forscht. Der Strom unrechtmäßig erworbener russischer Gelder fließe bereits seit Ende der 1990er Jahre durch Dubai, so Vittori, die früher in der Task Force der NATO zur Korruptionsbekämpfung arbeitete.
Allerdings lasse sich kaum vorhersagen, wie sehr die Geldströme nun zunehmen werden. "Denn das Geld wird überwiegend unsichtbar bleiben", so Vittori. Das liege auch daran, dass die VAE-Behörden entsprechende Informationen nicht ernsthaft sammelten, sagt Maira Martini, Forscherin bei dem auf Korruptionsbekämpfung spezialisierten Think Tank Transparency International.
Dank der verstärkten Kontrolle durch Organisationen wie der Financial Action Task Force (FATF), einer Organisation die globale Geldströme und Geldwäsche verfolgt, habe es in letzter Zeit allerdings einige Reformen in diesem Sektor gegeben, so Martini. In der Folge unterliegt das Land fortan einer stärkeren Beobachtung.
Die VAE hatten eine Reihe neuer Regeln aufgestellt, um potenziell illegale Finanzierungen besser kontrollieren zu können. Allerdings hätten sie zur Durchsetzung dieser Regeln nicht viel getan, erklären Martini und Vittori übereinstimmend. Immerhin ändere sich dies langsam, so Martini: "Wenn man heutzutage ein Unternehmen in den VAE gründet, wird man inzwischen gefragt, wer wirklich dahintersteckt."
Dennoch sei es in den VAE immer noch einfach, Vermögen zu verstecken, so Martini. So etwa gebe es in den sieben Emiraten der VAE insgesamt 39 verschiedene Firmenregister. Dies sei kein effektives System, sondern "ein Durcheinander". Zudem gibt es in den VAE mehr als 40 sogenannte "Freizonen", in denen Ausländer Unternehmen ansiedeln (oder sie dorthin verlagern) können. "Auch was Immobilien- oder Investmentfonds angeht, wird Ihnen niemand irgendwelche Fragen stellen", so die Expertin von Transparency International.
Der Kauf von Immobilien verläuft in den VAE vergleichsweise reibungslos. Für Investoren ist er mit einem Aufenthaltsvisum verbunden, für das sie keine lokale Bürgschaft benötigen. Der Verwaltungsaufwand für den Kauf einer Wohnung oder die Gründung eines Unternehmens ist minimal. Bei der Abwicklung von Geschäften spiele Bargeld eine zentrale Rolle, so die Experten.
Wer in Immobilien im Wert von rund 272.000 Dollar (185.000 Euro) investiert, erhält zudem ein dreijähriges Visum für die VAE. Für eine Investition von etwa 1,36 Millionen Dollar (1,18 Millionen Euro) erhält man sogar ein Fünfjahresvisum.
Russen der oberen Mittelschicht, die ihre Geschäfte vor Sanktionen oder dem Zugriff durch die eigene Regierung schützen wollen – oder die jetzt den Zusammenbruch der russischen Wirtschaft befürchten – könnten durchaus über die nötigen Mittel verfügen, sich in den VAE einen sicheren Hafen einzurichten.
Warum sind Russen so sehr auf die VAE fixiert?
Natürlich sind die VAE nicht die einzige Anlaufstelle für vermögende Privatpersonen. Auf der grauen Liste der FATF stehen 23 weitere Länder, darunter etwa Pakistan, der Südsudan, die Kaimaninseln, Jemen und Marokko. Allerdings unterstützen einige dieser Länder die westlichen Bemühungen, Russland wirtschaftlich zu isolieren. Doch auch aus anderen Gründen bleiben die VAE für reiche "Wirtschaftsflüchtlinge" attraktiv.
"Die VAE sind ein einzigartiger Standort", sagt Jodi Vittori. "Kein Transitpunkt wie die Kaimaninseln, sondern eher eine zentrale Anlaufstelle für illegale Finanzen." Zudem gebe es in Dubai nicht zuletzt aber auch viel "sauberes" Geld, so Vittori. Denn viele multinationale, im Nahen Osten tätige Unternehmen hätten ihren Sitz in den VAE und arbeiteten legal.
"Niemand investiert an Orten mit 'schmutzigem' Geld, weil jeder weiß, dass es dort auch schmutzig zugeht", sagt Vittori. "Es ist also die Kombination aus 'sauber' und 'schmutzig', die Dubai so attraktiv macht."
Dubai ist auch seit langem ein beliebtes visumfreies Urlaubsziel für Russen. Im Jahr 2019 zogen die VAE rund 730.000 russische Touristen an. Dann schränkte die Pandemie den Reiseverkehr ein. Schätzungen zufolge leben derzeit rund 100.000 russischsprachige Menschen in den VAE. Davon stammen etwa 40.000 aus Russland, die übrigen zumeist aus anderen postsowjetischen Staaten.
Flankiert wird diese Entwicklung durch die politische Situation in den VAE. Menschenrechtsaktivisten bezeichnen die Emirate als autoritäres System. Es gebe keine wirkliche politische Opposition, Zivilgesellschaft und Medien stünden unter Druck und genössen keinerlei Meinungsfreiheit.
Entsprechend eingeschränkt sei etwa die Arbeit investigativer Journalisten, sagt Vittori. Jodi Martini von Transparency International nennt zwei weitere Gründe, warum die VAE als Versteck für unrechtmäßig erworbene Gewinne geeignet seien. Zum einen würden Finanztransaktionen geheim gehalten. Zum anderen arbeiteten die VAE in diesen Fragen eher wenig mit anderen Staaten zusammen.
Dubai habe zwischen 2013 und 2018 rund 300 Ersuchen um Unterstützung aus dem Ausland erhalten, berichtet die die FATF. Denen sei es aber nur in 89 Fällen nachgekommen. "Die Behörden der VAE sind sehr langsam und handeln nicht proaktiv", so Martini.
So sei es in den zahlreichen denkbaren Fällen höchst unwahrscheinlich, dass eine in den VAE lebende Person ausgeliefert werde. "All diese Eigenschaften machen die VAE ausgesprochen attraktiv für diejenigen, die Sanktionen vermeiden oder ihr Vermögen verstecken wollen."
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