Der Populismus frisst seine Kinder

Seit dem 9. Mai ist Pakistan in eine weitere politische Krise gestürzt. Das Vorgehen gegen Imran Khans Partei PTI interpretieren viele als einen Kampf um die Demokratie. Warum er andere Gründe dahinter sieht, analysiert Mohammad Luqman für Qantara.de.

Von Mohammad Luqman

Die Verhaftung von Pakistans Ex-Premier Imran Khan am 9. Mai kam überraschend, jedoch nicht unerwartet. Als Khan für eine Verhandlung am Obersten Gerichtshof in Islamabad eintraf, umzingelten ihn hunderte Angehörige einer paramilitärischen Einheit und zerrten ihn aus dem Gerichtsgebäude.



Offiziell wurde Khan aufgrund eines Haftbefehls in einem Korruptionsprozess festgenommen, inoffiziell wohl wegen seiner harschen Kritik an der Armeeführung. Khan wirft dem Militär vor, einen Anschlag auf sein Leben verübt zu haben.

Nach der Verhaftung kam es zu landesweiten Demonstrationen von Khans Anhängern, die sich Straßenschlachten mit der Polizei lieferten. Ihre Wut entlud sich aber auch auf das Militär, gegen das sie offen Parolen skandierten. Die aufgebrachte Menge griff Polizeistationen, Regierungsgebäude und Militäreinrichtungen an.



In Lahore wurde dabei die historische Residenz des Kommandierenden Generals (auch Jinna House genannt, da es der Staatsgründer Pakistans einst erworben hatte) geplündert und in Brand gesteckt. In Rawalpindi versuchte der Mob, das Militärhauptquartier GHQ zu stürmen. Bei den Auseinandersetzungen starben mehrere Menschen, Hunderte wurden verletzt oder verhaftet.  

Sicherheitskräfte begleiten das Fahrzeug von Imran Khan; Foto: Ghulam Farid/AP/dpa/picture alliance
Imran Khan auf dem Weg zum Gericht: Die Verhaftung von Pakistans Ex-Premier am 9. Mai  kam überraschend, jedoch nicht unerwartet. Als Khan für eine Verhandlung am Obersten Gerichtshof in Islamabad eintraf, umzingelten ihn hunderte Angehörige einer paramilitärischen Einheit und zerrten ihn aus dem Gerichtsgebäude. Offiziell wurde Khan aufgrund eines Haftbefehls in einem Korruptionsprozess festgenommen, inoffiziell wohl wegen seiner harschen Kritik an der Armeeführung. Khan wirft dem Militär vor, einen Anschlag auf sein Leben verübt zu haben. Auf Anordnung des Obersten Verfassungsgerichts kam Khan einige Tage später wieder frei, er darf jedoch das Land nicht verlassen.



Nach seiner Freilassung einige Tage später auf Anordnung des Obersten Verfassungsgerichts wiederholte Khan abermals seine Anschuldigungen gegen  Militärchef Asim Munir und bezichtigte ihn, einen persönlichen Groll gegen die Partei PTI zu hegen. Es war ein Tiefpunkt in den Beziehungen zwischen Imran Khan und seinen einstigen Förderern, den Militärs.



Die Reaktion der Generäle und der Regierung folgte prompt. In den nächsten Tagen wurden fast die gesamte Führung der PTI sowie tausende Randalierer und Sympathisanten der PTI in Gewahrsam genommen.

In einer Sitzung des Militärs ließ der Armeechef außerdem verkünden, dass Zivilisten, die sich an der Zerstörung von Militäreinrichtungen beteiligen, vor ein Militärgericht gestellt würden. Eine derartige Eskalation wäre noch vor einigen Jahren in Pakistan unvorstellbar gewesen.  

Das gescheiterte Projekt Imran Khan 

Es ist kaum vier Jahre her, als Imran Khan nach seinem Wahlsieg nicht müde wurde zu betonen, dass er und das Establishment (ein euphemistischer Ausdruck für das Militär) auf einer Linie lägen. Khans Partei PTI war bekanntlich mit Hilfe der Militärs an die Macht gekommen. Der ehemalige Chef des Militärgeheimdienstes ISI, General Faiz Hameed, gilt als der Mastermind hinter Imran Khans Sieg.

Dem Sieg der PTI war ein Machtkampf zwischen Armeeführung und Ex-Premier Nawaz Sharif vorausgegangen, in dessen Folge Sharif und Mitglieder seiner Regierung wegen diverser Korruptionsvorwürfe angeklagt, diskreditiert und verhaftet wurden, ähnlich wie es derzeit mit Khan und seiner Partei geschieht. Damals beschwor Imran Khan, Korruption und mafiöse Strukturen bekämpfen zu wollen.



Die populistischen Wahlversprechen und das Charisma des ehemaligen Cricket Stars zogen vor allem die jungen Wähler aus den pakistanischen Eliten zu seiner Partei PTI.

Ausschreitungen in mehreren Städten Pakistans nach der Verhaftung von Imran Khan; AP Photo/picture alliance
Volkszorn gegen das Militär: Nach der Verhaftung von Imran Khan kam es zu Ausschreitungen in mehreren Städten Pakistans, bei denen ein Mob auch militärische Einrichtungen angriff. "Eine derartige Eskalation wäre vor einigen Jahren in Pakistan unvorstellbar gewesen,“ schreibt Mohammad Luqman. "Khan-Anhänger sind über gesellschaftliche Grenzen hinweg so sehr fanatisiert, dass sie jeden Fehltritt ihres Idols zu rechtfertigen wissen. Sie glaubten ihm auch dann, als Khan seinen Anhängern vorgaukelte, hinter seiner Absetzung stecke eine amerikanische Verschwörung. (…) Parallelen zu radikalen Trump-Anhängern in den USA sind offensichtlich.“



Doch Khans Regierung war alles andere als demokratisch. Während Khans fast dreijähriger Amtszeit wurden kritische Journalisten, oppositionelle Politiker, Menschenrechtsaktivisten und religiöse Minderheiten stärker verfolgt als in den Jahren zuvor. In seiner Partei und Regierung verteilte der Cricket Star gerne Schlüsselfunktionen an Vertraute, zum Unmut langjähriger Weggefährten.



Schnell kursierten Korruptionsvorwürfe gegen ranghohe PTI-Politiker. Khan spielte die Kritik stets herunter und baute stattdessen auf seine Unterstützer im Militär. Es ging ihm schließlich nicht um Demokratie, sondern um seinen politischen Machterhalt. Auch jetzt spekuliert Khan auf jene Teile des Militärs, die mit ihm sympathisieren, daher betont er, nicht die Institution der Armee kritisieren zu wollen, sondern lediglich jene Kreise, die ihm schaden wollten

Auf den offenen Bruch mit Armeechef Qamar Javed Bajwa wegen Meinungsverschiedenheiten über die Besetzung der Führung des Militärgeheimdienstes ISI folgte einige Monate später ein Misstrauensvotum gegen Khan im Parlament, das seine Regierung zu Fall brachte. Was das Establishment aber wohl nicht ahnte, war, wie sehr der Populismus der PTI inzwischen an Eigendynamik gewonnen hatte.



Die PTI, aber auch das Militär, hatten diesen Populismus in den letzten Jahren konsequent genährt, was auch innerhalb des Establishments zu einer gewissen Polarisierung geführt hat. Viele Ex-Offiziere und ihre Angehörigen bekennen sich heute offen zu Khans Partei und kritisieren das Agieren der Generäle. Kritik an der Militärführung aus den eigenen Reihen hat es in diesem Ausmaß in Pakistan bislang nicht gegeben.

Khan-Anhänger sind über gesellschaftliche Grenzen hinweg so sehr fanatisiert, dass sie jeden Fehltritt ihres Idols zu rechtfertigen wissen. Sie glaubten ihm auch dann, als Khan seinen Anhängern vorgaukelte, hinter seiner Absetzung stecke eine US-amerikanische Verschwörung. Später änderte er diese Aussage abermals und zuletzt suchte er die Unterstützung von US-Senatoren für seinen Machtkampf.



Parallelen zu radikalen Trump-Anhängern in den USA sind offensichtlich. Die neue Regierung von Shehbaz Sharif und die Militärführung konnten dem bislang wenig entgegensetzen. In den sozialen Netzwerken ist die Propaganda der PTI allgegenwärtig.  

 



 

Wird die PTI zerschlagen? 

Für Khans Anhänger bedeutete seine Verhaftung das Überschreiten einer roten Linie. Für das Establishment waren dagegen die Angriffe auf Militäreinrichtungen am 9. Mai die rote Linie. Entsprechend fällt das harte Durchgreifen gegen die PTI aus. Der Versuch, dem Projekt Imran Khan ein Ende zu setzen, entspringt aber auch dem Wunsch des Establishments, die Polarisierung in den eigenen  Reihen zu beenden. Mit Einschüchterungen und Verhaftungen wird derzeit versucht, die Parteispitze der PTI zu zerschlagen.

In den letzten Tagen verließen die Spitze der PTI und die engsten Khan-Vertrauten Shirin Mizari, Fawad Chaudhry und Asad Umar die Partei. Tausende weitere PTI-Mitglieder sitzen im Gefängnis. Die Luft um Khan wird immer dünner. Einige Regierungsmitglieder sprechen mittlerweile offen über ein mögliches Verbot der PTI. 

Paradoxerweise rechtfertigt die Partei von Nawaz Sharif, die einst gerade wegen ihrer Kritik an den Militärs aus dem Amt gedrängt worden ist, heute das Vorgehen der Streitkräfte. Vergessen ist Nawaz Sharifs Anti-Establishment Slogan vote ko izzat do, “Respektiert die Wahl”, der sich vor einigen Jahren gegen die Einmischung der Militärs in die Politik wandte.  

Undemokratische Praktiken rufen in Pakistan immer wieder politische Krisen hervor und viele fragen sich, ob es nicht für alle Institutionen des Landes an der Zeit wäre, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und ihre jeweiligen konstitutionellen Aufgaben wahrzunehmen. 

Doch auch hier gilt, Pakistan braucht fundamentale Reformen und ein grundsätzliches Umdenken in seiner Politik. Sonst wird das Land nicht vorankommen.  

Mohammad Luqman

© Qantara.de 2023

Mohammad Luqman ist Islamwissenschaftler und Südasienexperte mit einem besonderen Forschungsschwerpunkt auf Pakistan.

 

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