Flüchtlinge aus Eritrea: verhaftet, geschlagen, bedroht
Von ägyptischen Sicherheitskräften verhaftet, ohne richterlichen Beschluss interniert, geschlagen, bedroht und schließlich unter katastrophalen Haftbedingungen und ohne Zugang zum UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR im berüchtigten Al-Qanater-Gefängnis inhaftiert. Die Geschichte von Alem Tesfay Abraham und Kibrom Adhanom ist ein Härtefall, zeigt aber gleichzeitig, wie ägyptische Behörden internationales Flüchtlings- und Menschenrecht systematisch mit Füßen treten.
Die beiden eritreischen Flüchtlinge waren 2012 und 2013 in Ägypten verhaftet worden und werden seither in einer für Ausländer vorgesehenen Zelle im Al-Qanater-Gefängnis in der Provinz Qalyubiyya nördlich von Kairo festgehalten. Am 9. September 2021 wurden Tesfay Abraham und Adhanom aus ihrer Zelle geholt, in einem Krankenhaus einem PCR-Test unterzogen und gezwungen, vorläufige eritreische Reisedokumente zu unterzeichnen. Ihre Abschiebung stehe unmittelbar bevor, teilte man ihnen mit.
Schon Mitte August hatte die in London ansässige eritreische Menschenrechtsgruppe Human Rights Concern Eritrea (HRC) vor einer Abschiebung der beiden Männer gewarnt und Ägyptens Regierung aufgefordert, von der Ausweisung abzusehen, sie stattdessen freizulassen und ihnen endlich Zugang zum UNHCR zu gewähren. Der nachdrückliche Aufruf verhallte jedoch ungehört. Erst die konkrete Vorbereitung der Abschiebung brachte Bewegung ins Spiel.
Mehrere diplomatische Missionen in Kairo, das UNHCR und weitere UN-Behörden wurden erneut auf den Fall aufmerksam und machten offenbar Druck – zumindest vorläufig mit Erfolg. Die schon in die Wege geleitete Ausweisung nach Asmara wurde gestoppt und Tesfay Abraham und Adhanom abermals nach Al-Qanater transferiert. Das Gefängnispersonal teilte ihnen jedoch mit, die Abschiebung sei nicht gestoppt, sondern nur verschoben worden. Die Gefahr für die von ihrer Haft gezeichneten Männer, nach Eritrea ausgeliefert zu werden, ist demnach keinesfalls gebannt.
Exodus aus Eritrea
Eine Abschiebung nach Eritrea hätte jedoch drastische Folgen, droht ihnen bei einer Rückkehr doch unbefristete Inhaftierung, Misshandlung und Folter. "Jeder, der Eritrea ohne offizielle Erlaubnis verlassen hat, wird (von eritreischen Behörden, Anm. der Red.) als Verräter betrachtet, der ein Verbrechen begangen hat“, erklärt die eritreische Menschenrechtsgruppe HRC in einer Stellungnahme. "Zurückgewiesene eritreische Asylbewerber wurden nach ihrer Rückkehr für längere Zeit in Isolationshaft genommen, gefoltert und unmenschlich und erniedrigend behandelt“, so HRC weiter.
Einer der Hauptgründe für die seit mehr als 20 Jahren ungebrochen hohe Fluchtrate aus dem kleinen Land am Horn von Afrika ist der Militärdienst. Frauen und Männer über 18 Jahren sind in Eritrea militärdienstpflichtig und werden oft auf unbestimmte Zeit eingezogen. Wehrdienstleistende werden vom Regime in Asmara als billige Arbeitskräfte eingesetzt, müssen oft Zwangsarbeit verrichten und werden nur unzureichend oder gar nicht mit Lebensmitteln, Unterkunft und Medikamenten versorgt. Minderjährige werden oft schon im Alter von 14 Jahren zu militärischen Trainings einberufen. Misshandlung, Folter und Vergewaltigung von Wehrdienstleistenden zählen zum Alltag in Eritreas Armee.
In Administrativhaft vergessen
Auch Tesfay Abraham und Adhanom flohen aus Eritrea, um sich dem Militärdienst zu entziehen. Der heute 42-jährige Tesfay Abraham floh schon 2012 in den Sudan und von dort aus nach Ägypten. Er wurde im März 2012 bei dem Versuch verhaftet, die Grenze nach Libyen zu passieren und kurze Zeit später nach Al-Qanater überführt. Ägyptische Behörden verweigerten ihm sowohl den Zugang zu Anwälten als auch zum UNHCR – der einzigen Behörde in Ägypten, wo er hätte Asyl beantragen und damit einen internationalen Schutzstatus erlangen können.
Der heute 37-jährige Adhanom floh 2013 ebenfalls in den Sudan, wurde hier von Menschenhändlern entführt und an eine kriminelle Bande auf der ägyptischen Sinai-Halbinsel verkauft. Damals waren hier gut organisierte Menschenhändler aktiv, die gezielt eritreische Flüchtlinge entführten und sie solange folterten, bis deren Verwandten hohe Lösegeldsummen bezahlten. Offenbar für tot gehalten wurde Adhanom von seinen Peinigern in der Wüste zurückgelassen, von Beduinen gefunden und an Ägyptens Behörden übergeben. Diese schoben ihn zwischen verschiedenen Polizeiwachen hin und her, bis er 2014 schließlich nach Al-Qanater transferiert wurde.
#Egypt (@moiegy) must halt the imminent deportation of Kibrom Adhanom & Alem Tesfay Abraham, release them & grant them immediate access to asylum procedures. Forcibly returning them to #Eritrea, where they face persecution, is a grave breach of intl. law. #JusticeForAlemAndKibrom pic.twitter.com/tPLY558ZUz
— Amnesty Eastern Africa (@AmnestyEARO) September 10, 2021
Ägyptens Haft- und Abschiebepolitik
Normalerweise werden verhaftete Flüchtlinge oder Migranten für einige Wochen von ägyptischen Behörden interniert, bevor sie von einem Militärgericht für das illegale Betreten oder Verlassen des Landes auf Bewährung verurteilt und anschließend freigelassen werden. Warum dies im Fall von Tesfay Abraham und Adhanom nicht passiert ist, bleibt weiterhin unklar.
Wie eine anonyme Quelle bestätigt, war das Ägypten-Büro des UNHCR über die langjährige Haft der beiden Eritreer informiert, versuchte jedoch offenbar nicht energisch genug, Zugang zu ihnen zu bekommen. Ein mehrwöchiger Hungerstreik der beiden Inhaftierten im Herbst 2020 wirbelte zwar Staub auf, sorgte aber nicht für ausreichend Druck, um das UNHCR und ägyptische Behörden zum Handeln zu bewegen. Erst die drohende Abschiebung vor zwei Wochen und der damit einhergehende Druck internationaler Menschenrechtsgruppen wie Amnesty International zwang die UN, dem Fall Priorität einzuräumen.
Derweil sind die gegen internationales Flüchtlings- und Menschenrecht verstoßende Inhaftierung und die versuchte Abschiebung Tesfay Abrahams und Adhanoms keine Einzelfälle. Ägypten hat die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 zwar unterzeichnet, verstößt mit seiner willkürlichen Haft- und Abschiebepraxis jedoch systematisch gegen deren Bestimmungen. Selbst wenn jemand keinen offiziellen Flüchtlingsstatus vorweisen kann, sei die Abschiebung einer Person in ein Land, in dem ihr Lebensgefahr, Diskriminierung oder Folter droht, illegal, betont das ägyptische Internetmedium Mada Masr mit Verweis auf eine anonyme Quelle.
Unterdessen bleibt völlig unklar, wie viele Flüchtlinge und Migranten derzeit in Ägypten inhaftiert sind. 2013 waren allein in Al-Qanater mehrere hundert Geflüchtete interniert. Heute ist der für Ausländer vorgesehene Gefängnistrakt beinahe leer. Dafür werden seit einigen Jahren vermehrt Polizeistationen und Gefängniseinrichtungen in Südägypten für die Internierung von Flüchtlingen und Migranten genutzt, vor allem in den Provinzen Aswan, Luxor und dem Touristenort Hurghada. In Sachen Abschiebepraxis sind jedoch nur wenige Details bekannt. Das Ausmaß der ägyptischen Abschiebepraxis bleibt nebulös.
Dennoch kooperieren EU-Staaten seit 2016 verstärkt mit Ägypten im Bereich Grenzaufrüstung und Migrationspolitik. Die EU will Ägypten stärker in sein Grenzregime in Nordafrika integrieren und finanzierte unzählige Trainings für ägyptische Sicherheitsbehörden. Das Regime in Kairo entwirft zudem derzeit ein Asylgesetz und wird dabei von der EU-Asylbehörde EASO beraten. Dabei zeigt der Fall von Tesfay Abraham und Adhanom, dass Ägypten kein Partner in Sachen Migrations- und Flüchtlingspolitik sein kann.
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