Blut, Schweiß und Drogen

Auf der Berlinale erfreute sich "Chiko" besonderer Wertschätzung. Die Gangstergeschichte aus dem Drogenmilieu des Hamburger Kiez entfachte eine Debatte um Integration und kriminelle Ausländer.

Von Amin Farzanefar

​​Die Geschichte klingt bekannt: Isa, genannt "Chiko" will ganz nach oben, schnell, und wenn möglich auch brutal. Mit Hilfe seiner alten Kumpel räumt er einige Kleindealer aus dem Weg, um bald einem gewissen "Brownie" gegenüberzustehen.

Die Kiezgröße erkennt den Ehrgeiz und das Talent, und verhilft Chiko zu einem Karrieresprung im Kokaingeschäft. Schnelles Geld, schnelle Autos, eine neue Frau – Chiko scheint am Ziel seiner Wünsche. Doch der Höhenflug endet in einer Abwärtsspirale aus Gewalt, als Brownie mit Chikos altem Freund Tibet aneinander gerät.

Jungregisseur Özgur Yildirim entwickelt dieses Drama um Geld und Drogen, Freundschaft und Verrat mit einen rasantem Erzähltempo, furiosen Schauspielleistungen und einem Soundtrack, der sitzt wie ein Maßanzug.

Schreckgespenster ausländischer Krimineller

Mit dem Mut zu epischer Überhöhung und dennoch stilsicher erzählt, bekommt "Chiko" eine geradezu internationale Anmutung; Klassiker des Gangsterfilmes – "Scarface", "Mean Streets" oder "Raging Bull" sind die Referenzpunkte, und doch verliert der Film nie die Bodenhaftung zum Hamburger Milieu.

Im Stadtteil Dulsberg aufgewachsen, hat Özgur Yildirim auch einiges der eigenen Biografie im Drehbuch verarbeitet. Das furiose Debüt des gerade einmal 28-Jährigen erntete auf der Berlinale neben einhelligem Lob allerdings auch besorgte Kommentare: Der Film kommt inmitten einer Debatte zu liegen, in der Schreckgespenster von "kriminellen jugendlichen Ausländern" herumspuken – Geister, die man nicht rufen möchte, die aber Yildirim machtvoll beschwört.

Tatsächlich stellt sich die Frage, ob der Film der türkischen Community nicht einen Bärendienst leistet, wenn er genau die herrschenden Klischees und Stereotypen bedient – rohe Sprache, drastische Gewaltanwendung – eben so ein Beispiel missglückter Integration inszeniert.

Hierzu gäbe es einiges anzumerken. Özgur Yildirim selbst positioniert sich eindeutig: "Eine ganz klare moralische Aussage des Filmes ist ja die: Wer Gewalt anwendet, bekommt Gewalt zurück, Gewalt hat schlimme Konsequenzen, Gewalt ist hässlich, und das führt zur Katastrophe. Das ist die Aussage, die der Film für jeden haben muss, sonst hat man nur mit einem Auge zugeguckt."

Medien, Konsum und Gewalt

Dennoch ist es seit jeher eine Gretchenfrage der Medienwirkungsforschung, welche Auswirkungen Gewaltfilme auf jugendliche Zuschauer haben. Manch ein Anti-Kriegsfilm mutiert unter der Hand zum Kriegsfilm, weil er den Krieg, die Waffen, die Helden allzu attraktiv inszeniert.

Auch bei "Chiko" werden die coole Bildästhetik, die hippe Musik und die rohe Sprache den einen abstoßen, auf den anderen aber eine Faszination ausüben. Interessanter als trockene Medienpädagogik ist jedoch Yildirims Anmerkung, was für Filme und welche Medien denn auf die Figur Chiko, den Helden, einen besonderen Einfluss ausgeübt haben.

"Er muss ja nicht mal Filme gucken, er muss ja nur MTV gucken: Da sehen wir 50-Cent, wie er seine Dollars schwingt, nackte Weiberärsche in die Hand nimmt und mit Low-Ridern durch die Gegend fährt. Dann sehen wir Paris Hilton, wie die kokst und crackt, und was auf Partys so abgeht – und manch einer sagt: Wow! Warum kann ich das nicht haben?! Und Kino ist ja eine Reflexion, greift das auf, was in der Gesellschaft passiert."

Tatsächlich thematisiert Yildirims Film weniger die kulturelle Distanz zwischen Deutschen und Türken, Christen und Muslimen, als vielmehr die soziale Grenze zwischen den wenigen Gewinnern und den vielen zu kurz Gekommenen.

Jenseits von Gut und Böse

Und doch wird immer vorschnell die politische Karte ausgespielt, wenn es um Filme mit Migrationsthematik geht. Das betrifft das deutsch-türkische Kino seit seinen Gründerjahren.

​​Fatih Akin, der Produzent von "Chiko", hatte 1998 mit "Kurz und schmerzlos" ein ganz ähnliches Debüt vorgelegt, eine charmante, witzige, romantische und tragische Geschichte über Kleinkriminelle aus dem Hamburger Kiez.

Erstmalig hatte Akin eine multiethnische Geschichte cool und sexy inszeniert, nicht als "Problemfilm", nicht als "Sozialdrama", sondern als spannenden Genrefilm mit selbstbewussten "Kanaken" und war damals eben deswegen in Begründungszwänge geraten.

Hollywood war da schon weiter: Die Italo-Amerikaner – Scorsese, Coppola oder de Palma – die in ihren Werken auch die eigene Migrationsgeschichte verarbeiten – und mit düsteren blutigen Bildern überhöhen – müssen keine Rechenschaft ablegen hinsichtlich ihrer Political Correctness.

Rechtfertigungsdruck statt Oscar

Der Film der Cohen-Brüder, "No Country for Old Men", der in Blut, Schweiß und Drogen förmlich badet, erhält dafür den Oscar. Ein deutscher Film hingegen, der ein ganz ähnliches Thema gewählt hat, gerät beinahe in Rechtfertigungsdruck.

Vielleicht sollte man Yildirims wildes Werk am ehesten als Chance für die deutsche Kinolandschaft begreifen, als ein rundum überzeugendes Plädoyer für den Genrefilm, mit dem sich Deutschland ja so schwer tut.

Politisch ist das sowieso, wie die Äußerung zeigt: "Wir haben diesen Film ja nicht aus pädagogischen Gründen gemacht, können da nichts verändern, aber ich glaube dennoch, dass wir mit unserem Film mehr erreichen können als Roland Koch, weil der einfach nicht die Sprache dieser Jungs spricht. Wir sprechen zumindest diese Sprache und kommen denen so näher – eher wie Kumpels als wie ein Lehrer, ein Professor oder ein strenger Vater."

Amin Farzanefar

© Qantara.de 2008

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