Abhängig von Assad?

Die Menschen in den Rebellengebieten in Nordsyrien sind dringend auf humanitäre Hilfen angewiesen. Die politischen und juristischen Bedingungen dafür haben sich jedoch enorm verkompliziert.
Die Menschen in den Rebellengebieten in Nordsyrien sind dringend auf humanitäre Hilfen angewiesen. Die politischen und juristischen Bedingungen dafür haben sich jedoch enorm verkompliziert.

Die Menschen in den Rebellengebieten in Nordsyrien sind dringend auf humanitäre Hilfen angewiesen. Die politischen und juristischen Bedingungen dafür haben sich jedoch enorm verkompliziert. Von Cathrin Schaer und Omar Albam

Von Cathrin Schaer & Omar Albam

"Die Vereinten Nationen behandeln uns nicht gut", sagt Abd al-Salam al-Youssef. Der 45-Jährige lebt im Lager Batenta im Nordwesten Syriens und ist wie Millionen andere während des Bürgerkriegs geflohene Syrer auf humanitäre Hilfe angewiesen. Diese wird von den UN koordiniert und in das von syrischen Oppositionellen - inzwischen überwiegend islamistische Milizen - kontrollierte Gebiet in Idlib geliefert.

Dass weitere Lieferungen nun möglicherweise von der Zustimmung des syrischen Machthabers Baschar al-Assad abhängen könnten, ernüchtert ihn. "Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass eine Person, die Millionen von Menschen vertrieben hat, nun die humanitäre Hilfe überwachen soll", sagt der Vater von fünf Kindern im Gespräch mit der Deutschen Welle (DW).

Vor wenigen Tagen hatte zunächst Russland als UN-Vetomacht eine Verlängerung der Hilfen über den Grenzübergang Bab al-Hawa abgelehnt. Kurz darauf hatte der mit Moskau verbündete syrische Diktator sie allerdings wieder "zugelassen"- obwohl seine Sicherheitskräfte faktisch gar keine Kontrolle über den Grenzposten haben, sondern syrische Rebellengruppen und die Türkei.

Protest gegen das russische Veto gegen eine Verlängerung der UN-Hilfslieferungen am Grenzübergang Bab al-Hawa, Juli 2023; Foto: Omar al-Bam/DW
Wer bestimmt über die humanitäre Hilfe in Nordsyrien? Protest gegen das russische Veto gegen eine Verlängerung der UN-Hilfslieferungen am Grenzübergang Bab al-Hawa. Zunächst hatte Russland im Juli als UN-Vetomacht eine Verlängerung der Hilfen über den Grenzübergang Bab al-Hawa abgelehnt. Kurz darauf hatte der mit Moskau verbündete syrische Diktator sie allerdings wieder "zugelassen"- obwohl seine Sicherheitskräfte faktisch gar keine Kontrolle über den Grenzposten haben, sondern syrische Rebellengruppen und die Türkei.



Zuvor hatte al-Assad seine Zustimmung zu einer Erneuerung des Mandats davon abhängig machen wollen, dass seine Regierung die Lieferungen organisiert - und zwar ungeachtet des Umstands, dass viele Menschen in der betroffenen Region ihn und sein Regime ablehnen. Manche befürchten nun, dass al-Assad tatsächlich mit Russlands Hilfe Bedingungen für die Hilfslieferungen diktieren könnte.



"Hilfe darf nicht politisiert werden", sagt Anas Khazendar, Entwicklungshelfer der Stiftung Al-Bunyan Al-Marsous, die die Geflüchteten in Idlib mit Lebensmitteln, Wasser und anderen Hilfsgütern versorgt. "Das Ansinnen verhöhnt die Würde der Zivilisten. Wir selbst haben als humanitäre Organisation kein Vertrauen in ein Verteilungssystem, das vom syrischen Regime geleitet wird." Der unnachgiebige Kurs der Assad-Regierung war insbesondere nach dem Erdbeben im Februar dieses Jahres zum Problem geworden.

Drei Millionen Menschen in Not

Insgesamt leben 4,7 Millionen Menschen im von Islamisten und weiteren Regimegegnern beherrschten Norden des Landes, rund drei Millionen von ihnen - darunter zahlreiche Binnenflüchtlinge - sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Über Jahre hungerte die Assad-Regierung die von der Opposition gehaltenen Städte aus und nahm zugleich einen Teil der Hilfslieferungen in Beschlag.

Aus diesem Grund hatte der UN-Sicherheitsrat 2014 zunächst die sogenannte grenzüberschreitende Hilfe genehmigt. Auf diese Weise gelangten Hilfslieferungen auch ohne Genehmigung der syrischen Regierung in die von der Opposition kontrollierten Gebiete. Anschließend wurden die grenzüberschreitenden Hilfslieferungen durch eine Reihe von Resolutionen des UN-Sicherheitsrats geregelt.

2018 hatte das mit Syrien verbündete Russland im UN-Sicherheitsrat erstmals sein Veto gegen einen Plan für eine neunmonatige Verlängerung eingelegt. Dieses Jahr nun scheiterten die Verhandlungen über die Verlängerung komplett. Die Position der syrischen Regierung, Lieferungen nur dann zuzulassen, wenn sie diese koordinieren und überwachen dürfe, erklärten die UN für inakzeptabel.

Knapp drei Millionen Menschen im Norden Syriens sind von Hilfslieferungen abhängig; Foto: Ahmad al-ATRASH/AFP/Getty Images
Lebensnotwendige Hilfslieferungen: Insgesamt leben 4,7 Millionen Menschen im von Islamisten und weiteren Regimegegnern beherrschten Norden Syriens, rund drei Millionen von ihnen - darunter zahlreiche Binnenflüchtlinge - sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Über Jahre hungerte die Assad-Regierung die von der Opposition gehaltenen Städte aus und nahm zugleich einen Teil der Hilfslieferungen in Beschlag.

Wie geht es weiter?

Doch wie geht es weiter? Es sei unwahrscheinlich, dass das Mandat des UN-Sicherheitsrats zur grenzüberschreitenden Hilfe ohne Zustimmung der syrischen Regierung wiederbelebt werde, sagt der Jurist Jack Sproson, Mitglied der britischen Menschenrechtsvereinigung "Guernica 37". Der Umstand, dass die syrische Regierung die Erlaubnis für grenzüberschreitende Hilfe erteilt hat, sei für den UN-Sicherheitsrat eine Art Freifahrschein.

Er und andere Juristen bezweifeln jedoch grundsätzlich, dass die UN bei Hilfslieferungen - finanziert auch mit deutschen Mitteln - völkerrechtlich stets auf Zustimmung der jeweiligen Regierung angewiesen seien. Humanitäre Organisationen könnten - anders als Regierungen oder die UN selbst - in Notfällen Hilfsgüter auch ohne die Erlaubnis der entsprechenden Regierung über die Grenze bringen. Solche Fälle hat es bereits gegeben - so etwa in den 1980er-Jahren in Äthiopien und während des Bürgerkriegs in Nigeria zwischen 1967 und 1970.

Allerdings könne das Assad-Regime weiterhin versuchen, die UN zu erpressen. "Darum gilt es jetzt, sicherzustellen, dass die nun gegebene Zustimmung nicht willkürlich manipuliert oder im Laufe der Zeit widerrufen wird."

"UN müssen robuster sein"

"Humanitäre Akteure müssen häufig mit wenig hilfsbereiten Regierungen verhandeln", sagt Emanuela-Chiara Gillard vom Oxford Institute for Ethics, Law and Armed Conflict im DW-Gespräch. Mit Blick auf die humanitären Lieferungen nach Syrien komme es deshalb nun auf das Verhandlungsgeschick der beteiligten humanitären Organisationen an. "Sie müssen die Gunst der Stunde nutzen, die Bedingungen der syrischen Regierung umgehen und Alternativen vorschlagen, auf deren Grundlage sie dann im Einklang mit humanitären Grundsätzen und dem humanitären Völkerrecht arbeiten", so Gillard.

 



 

"Wir müssen die UN dazu bringen, robuster zu sein und sich innerhalb der juristischen Grenzen durchzusetzen", ergänzt Menschenrechtsaktivist und Jurist Jack Sproson. So müsse etwa die syrische Regierung darauf hingewiesen werden, dass sie die UN nicht daran hindern dürfe, mit bestimmten Gruppen zu verhandeln, so der Anwalt. "Die UN dürfen sich nicht einfach aus dem Spiel nehmen lassen."

Dass für die UN Handlungsbedarf besteht, sieht auch Rebecca Barber von der Universität Queensland in Australien, Autorin mehrerer Studien zu den rechtlichen Voraussetzungen grenzüberschreitender Hilfe für Syrien. Sie meint aber, dass dies schwierig werden wird. Zwar gebe es das internationale Recht, so Barber. "Aber daneben gibt es auch eine ganze Reihe von Richtlinien, Handbüchern und Leitfäden, die humanitäre Einsätze vor Ort regeln. Laut diesen Leitfäden hängen Einsätze fast immer von der Zustimmung der betroffenen Regierung ab." 

Dies zu ändern sei "keine leichte Aufgabe", so Barber, die auch mit großen humanitären Organisationen wie Save the Children zusammengearbeitet hat. "Im Grunde müsste das gesamte System überarbeitet werden", so die Expertin. Dafür setzt sie sich auch ein: "Schon die Ereignisse nach dem Erdbeben in Syrien und der Türkei hatten gezeigt, dass wir hier nicht weitermachen können wie bisher."



Cathrin Schaer und Omar Albam



© Deutsche Welle 2023

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp