Steiniger Dialog

Solange die Bereitschaft zu einer wirklich umfassenden gesellschaftlichen Anerkennung des Islam in Deutschland fehlt, wird sich die Islamkonferenz immer im luftleeren Raum abspielen.

Von Ülger Polat

Die Positionen könnten nicht konträrer sein: Während Innenminister Schäuble im Vorfeld der Islamkonferenz die zum Allgemeinplatz gewordenen Spielregeln formulierte, unter denen sich die erwünschte Anerkennung der Muslime in Deutschland zu vollziehen habe, monierte Ayyub Axel Köhler, Vorsitzender des neu gegründeten Koordinationsrats, der die vier muslimischen Verbände vertritt, gerade den fehlenden Willen, sich im Dialog überhaupt auf konkrete Maßnahmen zur Erreichung dieses Ziels einzulassen.

Dieses Ungleichgewicht in den Positionen liegt offensichtlich darin begründet, dass seit Auftakt der Konferenz notorisch "Scheinthemen" die Diskussion beherrschen und für eine Polarisierung unter den Teilnehmern sorgen.

Die Hinderungsgründe für eine Annäherung der muslimischen Verbände an den deutschen Staat liegen bereits in den Anfängen begründet: Die Frage, ob eine Gleichstellung von Mann und Frau im Islam überhaupt möglich wäre, oder die Frage, wie die muslimischen Verbände die Teilnahme von Mädchen am Sportunterricht sowie das Tragen des Kopftuchs sehen, ließen eine Gleichstellung des Islam bereits im voraus beinahe unmöglich erscheinen.

Insbesondere die fehlende Trennung von Staat und Religion, die dem Islam per se als Merkmal zugeschrieben wird, verfestigte die angenommene Unvereinbarkeit von deutschem Staat und islamischem Glaubensbekenntnis.

Parallelen zum Einbürgerungstest?

Die vier größten muslimischen Verbände, die sich im März dieses Jahres zusammengeschlossen und einen Koordinationsrat gegründet haben, mussten somit sehr schnell die Illusion aufgeben, dass sie als eine den Christen gleichberechtigte Religionsgemeinschaft im deutschen Staat anerkannt werden.

​​Ihnen wurde vorgehalten, sie seien nicht in der Lage, sich einheitlich zu organisieren, da ihre Organisationsstrukturen und religiösen Inhalte für Außenstehende nicht transparent seien, und sie würden konservative, ja sogar fundamentalistische Sichtweisen des Islam vertreten.

Diese Vorwürfe gleichen allzu sehr den Debatten über den "Einbürgerungstest", die man vor einem Jahr eigens für muslimische Migranten einzuführen plante. Fortwährend werden Muslimen Hürden und schärfere Bedingungen für ihre gesellschaftliche Anerkennung gestellt.

Muslime müssen in Deutschland immer wieder Bekenntnisse zum Grundgesetz, zur Gewaltlosigkeit, zur Gleichstellung von Mann und Frau ablegen, um überhaupt als gleichberechtigte Personen anerkannt zu werden. Ein solcher Rechtfertigungsdruck zeigt doch, dass Muslime nach wie vor als rückständig und als bedrohlich für die westliche Gesellschaftsordnung wahrgenommen werden.

Mit dieser Art von Zuschreibungen werden Muslime täglich konfrontiert. Und dennoch fand dieser Aspekt im Rahmen der Konferenz noch keine Erwähnung, obgleich dieser die laufenden Diskussionen wesentlich prägt.

Fehlende Anerkennung der Verbände

Ein weiteres entscheidendes Hindernis für eine Annäherung sind die im Gegensatz zu den christlichen Institutionen als mangelhaft angesehenen Organisationsformen der muslimischen Verbände.

Schäuble machte zwar deutlich, dass der neu gegründete Koordinationsrat ein "interessanter Verband" darstelle. Er könne aber noch "nicht für sich in Anspruch nehmen, alle Muslime zu vertreten" und in dieser Eigenschaft als "religiöse Gemeinschaft" fungieren. Die muslimischen Verbände haben ihren ersten wichtigen Schritt getan, indem sie sich zusammenschlossen und einen Koordinationsrat gründeten.

Wenn diese positive Initiative ohne eine Antwort seitens der Politik bleibt, werden die Muslime die Ernsthaftigkeit der Bemühungen des Staates in Frage stellen müssen, die Gleichstellung des Islam konstruktiv anzugehen. Natürlich sind die Muslime nicht in der Weise organisiert wie die christlichen Kirchen. Dies kann aber im Umkehrschluss noch nicht bedeuten, dass sie einer Anerkennung nicht würdig sind.

Erschwert wird die Situation dadurch, dass auch säkulare Muslime den vier muslimischen Verbänden sehr skeptisch gegenüberstehen. Sie warnen davor, dass dieser Rat einen 'konservativen Islam' vertrete, wobei dadurch eine säkulare Sicht des Islam ins Hintertreffen gelangen könne.

So möchte der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, mit allem Nachdruck verhindern, dass der so ausgemachte "konservative Islam" Einzug in die deutsche Gesellschaft hält. Derweil plant er die Gründung eines Kompetenzzentrums, in dem islamische Theologen angehalten sind, eine säkulare Auslegung des Islam zu entwickeln.

Islamkritiker in der Mehrheit

Ein Dissens zwischen praktizierenden und säkularen Muslimen besteht hingegen nicht nur hinsichtlich ihrer Islam-Auffassungen, sondern ebenso hinsichtlich ihrer Erwartungen an die Konferenz. So äußert eine säkulare Teilnehmerin, es gehe ihr "nicht um theologische Diskussionen, sondern um das weltliche Zusammenleben von Muslimen und der deutschen Mehrheitsgesellschaft".

Eben diese Forderung kann aber eine Islamkonferenz nicht erfüllen. Denn ob und wie Muslime in die deutsche Gesellschaft integriert werden können, bestimmen Muslime nicht nur allein. Wesentliche Voraussetzung für diesen Prozess ist die Aufnahmebereitschaft der hiesigen Gesellschaft.

Umso weniger können Probleme mit der Integration von muslimischen Migranten pauschal auf unkompatible Glaubenssätze des Islam zurückgeführt werden. Gerade die sozialen Probleme von muslimischen Migranten, die oft auf strukturellen Problemen ihres Lebens in Deutschland beruhen, haben wenig mit "dem Islam" zu tun.

Eine Islamkonferenz kann in erster Linie die Anerkennung und Einbindung des Islam als Religion in den deutschen Staat vorantreiben, indem sie verfassungsrechtliche sowie religiöse Inhalte abgleicht und somit die institutionelle Gleichstellung mit anderen Religionsgemeinschaften vorbereitet.

In dieser Hinsicht stellt sich die Frage, warum der begonnene Dialog den Namen "Islamkonferenz" bekam, wenn an ihm eine überwiegende Mehrheit von säkularen Islamvertretern und gar Islamkritikern teilnehmen – gegenüber einer Minderheit von praktizierenden Muslimen. Es ist doch einsichtig, dass Islamkritiker in diesem Dialog die gängigen Klischees über Muslime erst zementieren werden.

Auf der anderen Seite sollten die vier muslimischen Verbände, die den neu gegründeten Koordinationsrat bilden, darum bemüht sein, andere muslimische Verbände mit ins Boot zu holen, wie beispielsweise die Aleviten, um eine noch breiter angelegte Interessengemeinschaft zu bilden – und das nicht nur, weil ihnen die Alleinvertretung des Islam bislang verwehrt wurde. Eine solche Interessensvertretung würde dann eine politische sein, und zwar eine Vertretung vor dem deutschen Staat, und nicht eine religiöse.

Der Islam als Bestandteil der Gesellschaft

Denn nur aufgrund einer derartigen Verwaltungseinheit, die unterschiedliche theologische Ausrichtungen vertritt, können gemeinsame rechtliche und administrative Interessen der Verbände wirkungsvoll gegenüber dem deutschen Staat wahrgenommen werden.

Demgegenüber kann eine Spaltung unter den muslimischen Verbänden für keinen muslimischen Migranten in Deutschland von Nutzen sein. Die Muslime sollten darum bemüht sein, den Kontakt untereinander zu verstärken und alte politische Konflikte zu überwinden.

Was schließlich die Anerkennung des Islam anbelangt, so muss die deutsche Gesellschaft ihrerseits von ihrer wahrhaften Bereitschaft erst Zeugnis ablegen, den Islam als einen ihrer Bestandteile anzusehen. Solange diese Bereitschaft nicht grundsätzlich erklärt ist, wird sich eine Islamkonferenz immer im luftleeren Raum abspielen.

Dabei bieten sich für die deutsche Gesellschaft auch vielfältige Chancen, wenn sie Muslime institutionell einbinden. Sollten die Attribute "muslimisch" und "deutsch" keinen Gegensatz mehr bilden, die einander zwangsläufig ausschließen, so werden Muslime ihre Loyalität in vielfacher Weise gegenüber der deutschen Gesellschaft zeigen.

Zugleich hat die deutsche Gesellschaft die Möglichkeit, nicht nur den selbstgestellten Forderungen des Grundgesetzes nach Religionsfreiheit gerecht zu werden, sondern kann durch eine Anerkennung des Islam ein deutliches Signal für eine wahrhafte Gültigkeit der westlich-freiheitlichen Werteordnung setzen.

Ülger Polat

© Qantara.de 2007

Dr. Ülger Polat ist Migrationsforscherin und Lehrbeauftragte für Interkulturelle Soziale Arbeit an der Fachhochschule Hamburg.

Qantara.de

Kommentar Islamkonferenz in Berlin
"Wer Moslem ist, bestimme ich"
Die Islamkonferenz in Berlin soll eine Brücke zwischen Muslimen und dem säkularen Deutschland schlagen. Das Gespräch erschwert sich aber durch Uneinigkeit unter den Teilnehmern und vorgefasste Islam-Definitionen. Ein Kommentar von Peter Philipp.

Kommentar Ursula Spuler-Stegemann
Der Zentrale Koordinierungsrat der Muslime
Der Zentrale Koordinierungsrat hat sich pünktlich zur zweiten Islamkonferenz zusammengeschlossen. Die Marburger Professorin für Islamwissenschaft, Ursula Spuler-Stegemann, kommentiert die problematische Repräsentation und Zusammensetzung des Rats.

Erste Islam-Konferenz in Deutschland
Experiment Begegnung
Am Mittwoch, den 27. September, fand in Berlin die erste deutsche Islam-Konferenz statt. Diese war längst überfällig, doch solange die Gewaltfrage im Vordergrund steht, kann kein gleichberechtigter Dialog stattfinden, meint Ülger Polat in ihrem Kommentar.