Scharfe Kritik durch EU-Parlamentarier
Von der tunesischen Küste bis nach Lampedusa sind es knapp 150 Kilometer, von der libyschen Küste fast das Doppelte. Auf der kleinen italienischen Mittelmeer-Insel kommen jährlich mehrere hundert nordafrikanische Flüchtlinge an - entweder mit ihren altersschwachen Booten oder von der italienischen Küstenwache aus dem Meer gefischt. Wie viele beim Versuch, Europa zu erreichen, ertrinken, ist unbekannt.
Menschenrechtsorganisationen schätzen die Zahl der Todesopfer auf mehrere tausend. Nach Kritik der Organisation "Ärzte ohne Grenzen" und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte an der Behandlung der Flüchtlinge auf Lampedusa hat das Europäische Parlament eine Beobachtermission auf die Insel geschickt. Nach ihrer Rückkehr berichteten die Parlamentarier von unhaltbaren Zuständen.
Fotos unerwünscht
Erst nach langen und schwierigen Verhandlungen bekamen die Parlamentarier, bewacht von Soldaten und Polizei, überhaupt Zugang zu einem Lager. Foto- und Filmaufnahmen waren unerwünscht.
Normalerweise halten sich in den Baracken bis zu 400 Menschen auf. Aber, so berichtet die französische EU-Abgeordnete Martine Roure, kurz vor ihrer Ankunft habe man die Flüchtlinge ausgeflogen: "Die italienischen Behörden haben uns informiert, dass nur elf Personen in dem Lager waren. Das hat unsere Delegation doch sehr überrascht."
Die Behördenvertreter hätten erklärt, dass die meist aus Afrika stammenden Flüchtlinge nach einigen Tagen umgehend nach Libyen abgeschoben würden, rund 4000 pro Jahr. Genaue Zahlen gebe es nicht, weil niemand in dem Lager Buch führe, so Martine Roure.
Einige Räume seien für die Inspektion hergerichtet worden, insgesamt entspreche das Niveau der Einrichtung nicht europäischem Standard, erklärte die Abgeordnete und nannte ein Beispiel: "Für die 190 Menschen, die im Durchschnitt da sind, haben wir zwölf Toiletten ohne Türen und 18 Waschbecken gezählt - allerdings nur mit Salzwasser."
Sofortige Abschiebung nach Libyen
In dem geräumten Lager hätte er den Eindruck gewonnen, dass die italienische Regierung etwas zu verbergen versuche, sagte der deutsche EU-Abgeordnete Wolfgang Kreissl-Dörfler: "Alles, was wir nicht gesehen oder gehört haben, bestätigt mich in der Auffassung, dass in der Tat nicht alles mit rechten Dingen zugeht."
Scharfe Kritik übte Kreissl-Dörfler an der sofortigen Abschiebung der aufgegriffenen Flüchtlinge nach Libyen. Er bezweifelte italienische Angaben, dass nur ganze wenige Menschen einen Antrag auf ein geordnetes Asylverfahren stellen wollten:
"Wenn man sieht, dass es kaum Zugang zu Rechtsberatung gibt, dass die ganze Dolmetscher-Frage sehr prekär gehandhabt wird, dann gewinnen wir den Eindruck, dass gegen die Menschenrechtskonventionen und die Flüchtlingskonventionen verstoßen wird", sagt der Parlamentarier.
Sicherer Drittstaat?
Diesen Vorwurf erhebt auch das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen. Die Regierung in Rom verweist hingegen auf ein bilaterales Rückführungsabkommen mit Libyen, das als so genannter sicherer Drittstaat angesehen wird.
Der Abgeordnete Kreissl-Dörfler widerspricht: "Libyen, das man über Jahre hinweg als das Zentrum des Bösen angesehen hat, ist auf einmal ein sicheres Land, ohne dass man nachguckt, was mit den Leuten dort eigentlich geschieht, wohin die weiter abgeschoben werden, was mit ihnen gemacht wird."
Ende September 2005 wird sich das Europäische Parlament mit Lampedusa befassen. Der SPD-Abgeordnete Kreissl-Dörfler setzt sich dafür ein, die Drittstaaten-Regelung insgesamt aus europäischen Asylverfahren zu streichen.
Das würde den von SPD und Grünen ausgehandelten Asylkompromiss in Frage stellen. Innenminister Otto Schily (SPD) hatte durchgesetzt, dass Asylbewerber in Drittstaaten, durch die sie nach Deutschland eingereist sind, abgeschoben werden können.
Die Parlamentarier kündigten weitere Inspektions-Reisen in Lager in Spanien, Italien, Polen und auf Malta an. Von der italienischen Regierung verlangten sie schriftlich Aufklärung über die offensichtlichen Missstände.
Bernd Riegert
© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2005
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