Das Ende der Zweistaatenlösung
Auf der Konferenz "Dialog und die Erfahrung des Anderen" des Goethe-Instituts, die jüngst in Berlin stattfand, hieß es, der "zwischenstaatliche Dialog" sei sehr schwierig geworden. Diplomatische Gespräche "von Nation zu Nation" könnten durch einen zivilgesellschaftlichen Dialog ersetzt oder zumindest ergänzt werden. Glauben Sie, dass sich zwischen Palästina und Israel wirklich ein zivilgesellschaftlicher Dialog entwickeln könnte?
Sari Nusseibeh: Ich glaube, es war der deutsche Außenminister, der so etwas sagte wie: "Neben dem formalen Dialog zwischen den Konfliktparteien müssen wir zivilgesellschaftliche Gespräche fördern". Was die palästinensische Seite angeht, bin ich allerdings nicht sicher, ob diese Methode heute tatsächlich relevant ist. Sie müssen verstehen, dass aus Sicht der Palästinenser bereits seit langen Jahren ein vielfältiger Dialog vorhanden ist, und dies schon seit der Gründung des Staates Israel. Es gab palästinensische Israelis, die einen Dialog mit israelischen Israelis führten. Nach 1967 gründete dieser Dialog auf der Tatsache, dass keine Seite die andere anerkannt hat. Diese Art von Dialog hatte die Form von Sondierungsgesprächen. Er gipfelte in den tatsächlich stattfindenden Verhandlungen, also hat sich der Dialog in gewissem Sinne in diesen Verhandlungen zwischen den beiden Seiten und ihrer gegenseitigen Anerkennung erschöpft. Es gab die Hoffnung, dass die Verhandlungen beiden Seiten Frieden bringen würden, aber leider sind sie gescheitert.
Wenn Sie mich jetzt fragen, ob wir zum Dialog zurückkehren sollten, ist es, als würden Sie mir sagen, wir sollten in die 1970er und 1980er Jahre zurückkehren, um endlich miteinander zu verhandeln. Ich bezweifle, dass dies die richtige Vorgehensweise ist. Zumindest dann nicht, wenn wir den Dialog aus der palästinensischen Perspektive sehen.
Sie sehen momentan also keine Lösung in diesem Konfliktszenario?
Nusseibeh: Nein, die Verhandlungen sind gescheitert. Hoffen wir, dass zwischen den Vertretern beider Seiten erneut verhandelt wird, die dann zu einer Lösung führen. Das müssen wir wirklich hoffen. Aber angesichts der bisherigen Erfahrungen mit Verhandlungen kann man nicht sehr optimistisch sein, dass diese auch bald zum Abschluss kommen oder erfolgreich sein werden. Ich denke, es wird sich immer stärker das herausbilden, was bereits vorhanden ist: ein Einstaatensystem, in dem die israelischen Israelis herrschen und die Palästinenser im System ganz unten leben.
Welche Entwicklung würden Sie gern sehen?
Nusseibeh: Was die Beziehung zu den Israelis angeht, war ich schon immer ein Anhänger eines Grundprinzips, das ich als Prinzip der Parität oder Gleichberechtigung bezeichnen möchte. Meiner Ansicht nach spiegelt dieses Prinzip zwei Arten von Lösungen wider, in die es umgesetzt werden kann: Eine Lösung ist die Aufteilung des Gebiets zwischen den Israelis und den Palästinensern, so dass beide jeweils ihren eigenen Staat haben. Die andere wäre die Verteilung der Rechte unter den einzelnen Menschen, damit jeder, ob Israeli oder Palästinenser, im gleichen System gleiche Rechte besitzt. Wenn jetzt also, was wahrscheinlich ist, die Verhandlungen für eine Zweistaatenlösung scheitern, haben wir keine andere Wahl, als uns für einen Einheitsstaat einzusetzen, der demokratisch, säkular und pluralistisch sein sollte und allen ein Leben in Freiheit ermöglicht, weil wir dazu keine Alternative haben.
Glauben Sie, dass die Parlamentswahlen in Israel politische Veränderungen mit sich bringen könnten?
Sari Nusseibeh: Soweit ich sehen kann, bewegt sich Israel politisch insgesamt immer weiter nach rechts. Am wahrscheinlichsten ist es, dass wir mehr oder weniger das bekommen, was wir schon haben. Aber selbst wenn nicht – sogar wenn die Arbeiterpartei ein paar Stimmen erhält oder es sogar schafft, an die Regierung zu kommen und die Macht mit dem Likud oder wem auch immer zu teilen – erwarte ich nicht wirklich, dass eine neue Regierung, sogar in einem solchen Szenario, das liefern könnte, woran die vorherigen Regierungen in Israel gescheitert sind, nämlich eine akzeptable Zweistaatenlösung für die Palästinenser.
Mit größter Wahrscheinlichkeit werden die Siedlungen und die weitere Ausbreitung Israels in den 1967 besetzten Gebieten – vor allem in Jerusalem – einfach so weiter gehen wie bisher, was es uns – Israelis und Palästinensern – unmöglich macht, eine Zweistaatenlösung zu erreichen. Dies heißt letztlich, dass sowohl Israelis als auch Palästinenser in naher Zukunft ernsthaft über eine Einstaatenlösung nachdenken müssen.
Seit dem Arabischen Frühling sind vier Jahre vergangen. Man könnte sagen, dass mit Ausnahme Tunesiens alle Revolutionen in den arabischen Ländern mehr oder weniger gescheitert sind. Konnte man mit dieser Entwicklung rechnen?
Nusseibeh: Die Frage ist, welchen Zeitraum Sie betrachten. Wenn Sie natürlich erwarten, dass innerhalb von ein, zwei Jahren ein grundlegender Wandel von Schwarz nach Weiß stattfindet, werden Sie natürlich enttäuscht sein. Wenn Sie dagegen die Ereignisse in der arabischen Welt als Teil eines historischen Umbruchs betrachten, lässt sich das realistischer beurteilen. Für die Araber war es eine großartige Erfahrung. Die Ereignisse haben den Menschen gezeigt, was möglich ist, welche Hindernisse entstehen und welche konterrevolutionären Tendenzen auftreten können. Die Menschen sind sich ihrer eigenen Macht bewusst geworden.
Wie kann man das als also Scheitern bezeichnen? Es ist eine Erfahrung, ein Prozess. Ich erwarte und hoffe, dass die Menschen der arabischen Welt mit der Zeit aus dieser Erfahrung lernen, damit es ihnen bei nächster Gelegenheit eher gelingt, ihr Leben zu verändern. Doch wer tatsächlich erwartet hatte, dass die Bevölkerungen schlagartig dazu in der Lage versetzt worden wären, ohne autoritäre Regierungsführung oder Korruption zu leben, der wurde natürlich enttäuscht.
Wenn sie die verheerenden Entwicklungen in Syrien und die Ausbreitung des Islamischen Staates (IS) betrachten, wen würden Sie dann für diese verhängnisvolle Lage verantwortlich machen?
Nusseibeh: Nun, die Hauptverantwortlichen sind unter anderem die Menschen selbst, also die Muslime – die religiösen Führer, Regierungen und Behörden der betroffenen Länder. Die Schuld für das Übel, das uns befallen hat, können wir nicht der Außenwelt anlasten.
Einerseits ist es für uns sehr wichtig, politische Einrichtungen zu haben, die tatsächlich vertrauenswürdig und demokratisch sind, und die den Menschen in ihren Ländern neue Perspektiven eröffnen: Arbeitsmöglichkeiten, würdevolle Lebensbedingungen usw. Andererseits brauchen wir auch Freiräume für freie Gedanken, einschließlich religiöser Gedanken, und wir brauchen mehr mutige Religionsführer, die wir leider nicht haben. Die meisten derer, die eigentlich religiöse Führer sein sollten, sind Angestellte ihrer Regierungen. Also genießen sie unter den Muslimen weder Glaubwürdigkeit noch Respekt.
In gewissem Sinne brauchen wir eine sinnvolle Wiedergeburt der islamischen Botschaft, die das reflektiert, was die muslimischen Laien meiner Ansicht nach tatsächlich fühlen. Außerdem brauchen wir geeignete politische Systeme. Ich glaube, wenn wir diese beiden Dinge hätten, wäre es für Bewegungen wie den IS viel schwerer, größer zu werden oder zu erstarken.
Sabine Peschel
© Qantara.de 2015
Übersetzt aus dem Englischen von Harald Eckhoff