Warum junge Afrikaner ihr Glück in Saudi-Arabien suchen

Eine Baustelle in Riad: Auch in diesem Land käme man nicht ohne ausländische Arbeiter aus.
Eine Baustelle in Riad: Auch in diesem Land käme man nicht ohne ausländische Arbeiter aus. (Foto: Getty Images/AFP/F. Nureldine)

Tausende Menschen sterben jährlich, wenn sie in Fischerbooten aus dem Senegal nach Europa aufbrechen. Doch auch in Saudi-Arabien werden Migranten aus West- und Ostafrika zu "Papierlosen" ohne Rechte und Perspektiven.

Es ist später Vormittag in Rufisque, gut 20 Kilometer von Senegals Hauptstadt Dakar entfernt. Ndeye Fatou Fall schließt ihren Laden auf, der in einem violetten Container untergebracht ist. In den Regalen stapeln sich Shampoos, Cremes, Kunsthaare, falsche Fingernägel, Nähseide und Reißverschlüsse. Kunden kommen an diesem Morgen nicht.

Aufgebaut hat Ndeye Fatou Fall den Laden mit dem Geld, das sie mit ihrem kleinen Frühstücksrestaurant erwirtschaftet hat. Ein Teil stammt auch aus ihrer Zeit in Saudi-Arabien. Acht Jahre lebte die Mutter von vier Kindern als Migrantin dort. Anders als bei Tausenden vorwiegend jungen Männern aus Senegal und den Nachbarländern begann ihre Migrationsgeschichte nicht in einer wackeligen Piroge auf dem Atlantik, sondern mit einem Visum im Pass und einem Flugticket. "Illegal war ich trotzdem", sagt sie.

Ihr Frühstücksrestaurant wird nun von einer Freundin betrieben und befindet sich ganz in der Nähe. Auf einer Holzbank sitzt ein junger Mann und isst ein Baguette mit Spaghetti und Mayonnaise. Mit der Bewirtung von Gästen kennt sich Ndeye Fatou Fall aus. Schon bevor sie nach Saudi-Arabien ging, betrieb sie eine kleine Kantine.

Doch dann ließ sich ihr Mann scheiden, und sie musste sich allein um die vier Töchter kümmern. Allein lassen wollte sie die Mädchen nicht, doch die Familie übte Druck aus. Schließlich willigte Ndeye Fatou Fall ein, nach Saudi-Arabien zu gehen. Ein Mittelsmann organisierte das Visum und eine Arbeitsstelle in einer wohlhabenden Familie. "Ich musste mich nur um meinen Reisepass kümmern."

Obwohl die Überfahrt mit einem Boot gefährlich ist, ist das Ziel Europa für viele Migranten verheißungsvoll genug, um den Weg zu wagen
Bunt bemalte Boote im Hafen von Dakar: Obwohl die Überfahrt mit einem Boot gefährlich ist, versuchen viele Migranten dennoch auf diesem Weg nach Europa zu kommen. (Foto: Zane Irwin/AP Photo/picture alliance)

Lange Tradition der Auswanderung

Vor allem aus Ostafrika brechen Menschen nach Saudi-Arabien auf. Frauen arbeiten meist in Haushalten, ohne Schutz und geregelte Arbeitszeiten. Ndeye Fatou Fall hatte kurz nach ihrer Ankunft einen Arbeitsunfall: "Ich musste sechs schwere Koffer in die dritte Etage schleppen." Sie stürzte und brach sich das linke Bein. Eine Narbe erinnert bis heute an den Unfall. Ein Metallstück wurde eingesetzt und zwei Monate später musste sie wieder arbeiten. Das versprochene Geld gab es nicht.

"Bevor ich ging, war von 300.000 CFA-Francs (knapp 450 Euro) die Rede." Tatsächlich erhielt sie nicht mal ein Drittel davon. Doch sie musste ihren ersten Vertrag erfüllen und mindestens zwei Jahre bleiben. Dann ging sie ein zweites Mal nach Saudi-Arabien. "Was hätte ich im Senegal machen sollen? Ich hatte alles verkauft und kein Kapital für den Neuanfang."

Auswanderung hat im Senegal eine lange Tradition. Die meisten Menschen bleiben allerdings in der näheren Umgebung. Da innerhalb der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS freie Wohnortwahl gilt, gibt es keine verlässlichen Zahlen über Aus- und Einwanderung. Doch auch die Migration ohne Papiere über das Mittelmeer nimmt wieder zu. 2023 starben dabei nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) 3.041 Personen oder werden vermisst; rund 1.000 mehr als noch 2021. Mehr als 57.500 Personen insgesamt erreichten das spanische Festland, gut 40.000 die Kanarischen Inseln.

Die Gründe für den Aufbruch sind vielfältig. Es sind vor allem junge Menschen, die sich ein besseres Leben, aber vor allem mehr Perspektiven in Europa erhoffen. Auch Unzufriedenheit mit der politischen Situation - im Vorfeld der Wahlen im Senegal vom 24. März gab es Proteste wegen Unregelmäßigkeiten - triggert den Wunsch. Familien üben ebenfalls Druck aus, denn schon regelmäßige Rücküberweisungen von 100 bis 200 Euro im Monat bedeuten für manche viel Geld.

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Migration ist das beherrschende Thema

In der Stadt Saint Louis kurz vor der Grenze zu Mauretanien ist Migration das beherrschende Thema. Jeder hat jemanden in der Familie, der nach Europa aufgebrochen ist. Angehörige sehen sich oft über Jahre nicht mehr. Die Stadt lebte bislang vom Fischfang, der zunehmend schwieriger wird. Auch das heizt den Wunsch an zu gehen.

In den kleinen Wohnhäusern direkt am Strand herrscht Furcht, dass einer der Söhne plötzlich abends nicht mehr zum Essen kommt und irgendwo in einem Fischerboot auf dem Weg zu den Kanarischen Inseln sitzt. Yaye Meissa Dieye lebt seit Jahrzehnten damit. 

In der Familie der 41-Jährigen sind die Männer Fischer; die Frauen verkaufen den Fang weiter. "Schon mein Mann wollte aufbrechen, als wir noch ganz jung waren. Ich konnte ihn stets überzeugen, dass unsere Zukunft hier ist." Jetzt bangt sie vor allem um den ältesten Sohn.

Was es aus ihrer Sicht braucht, sind Arbeitsmöglichkeiten, mit denen junge Menschen genügend Geld erwirtschaften können, um sich eine kleine Zukunft aufzubauen.

170 Kilometer weiter südlich fordert das auch Ndeye Fatou Fall. In Saudi-Arabien verließ sie eines Tages ihren Chef - der aber ihren Reisepass eingezogen hatte. "Ich kam bei Freunden unter und fand eine bessere Arbeit. Papiere hatte ich allerdings keine mehr - und stattdessen Angst, dass mich die Polizei anhält."

Nach einem Besuch des früheren senegalesischen Staatspräsidenten Macky Sall in Saudi-Arabien und einem neuen Gesetz in dem Golfstaat, das besagt, "Papierlose" müssten das Land verlassen, gingen sie und andere Senegalesinnen schließlich zum Konsulat und forderten ihre Rückführung in die Heimat. Ein bisschen Geld hat sie zwar mitgebracht. 

"Aber meine Beziehung zu meinen Töchtern hat sehr gelitten. Wir mussten sie erst neu aufbauen", sagt Ndeye Fatou Fall. Eins aber hat sie zumindest geschafft: "Ich bin einmal in meinem Leben in Mekka gewesen".

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