Kein Platz für Griechenland in Erdogans "Charme-Offensive"
Ein diplomatisches Ausrufezeichen setzte Präsident Erdogan mit seinem offiziellen Besuch in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), bis vor kurzem aus der Sicht Ankaras ein Hort des Bösen. Einen Spitzenplatz auf der Liste der umworbenen Kooperationspartner hält Israel. Der anstehende Besuch des israelischen Präsidenten Isaac Herzog in Ankara soll dem frostigen israelisch-türkischen Verhältnis neues Leben einhauchen. Derweil machen die Normalisierungsgespräche mit Armenien Fortschritte, selbst mit dem Ägypten des Abdel Fattah Al-Sisi sucht Erdogan die Annäherung.
Die Türkei will herauskommen aus der diplomatischen Isolation, in die sich Ankara in den zurückliegenden Jahren verrannt hat: "Die Türkei sieht sich eingekreist von einer Allianz zwischen den Vereinigten Staaten, Griechenland, den griechischen Zyprioten, Israel und Ägypten, eine Situation, die nachteilig für die geostrategischen Interessen des Landes in der Region ist“, beschreibt die türkische Expertin Barcin Yinanc die Situation.
Eine treibende Kraft dieser Allianz, in der die Türkei keinen Platz hat, ist die Regierung in Athen. Den Griechen ist es in den zurückliegenden Jahren gelungen, mehr oder minder formale Kooperationsstrukturen im östlichen Mittelmeer (und darüber hinaus) aufzubauen, deren gemeinsamer Nenner der Ausschluss der Türkei ist: "Griechenland hat daran gearbeitet, das Eastern Mediterranean Gas Forum (EMGF) von einer Energieorganisation in eine informelle politische und sicherheitspolitische Allianz umzugestalten, die von Griechenlands unmittelbarer Umgebung im östlichen Mittelmeer bis an den Arabischen Golf reicht und eine Reihe von Militärübungen, politische Dialoge und Waffengeschäfte vorsieht, die allesamt darauf abzielen, ein Gegengewicht zur türkischen Bedrohung zu erzeugen“, heißt es in einer Analyse des US-amerikanischen Think Tanks Newlines Institute for Strategy and Policy.
Washington setzt auf die griechische Karte
Die diplomatischen Avancen Athens hatten von Beginn an den politischen Segen Washingtons. Der strategische Schwenk der Amerikaner hin zu den Griechen ist maßgeblich Ergebnis der Verwerfungen in den US-türkischen Beziehungen und der Frustration über den türkischen Präsidenten in der Biden-Administration. Führende Vertreter der US-Regierung haben keinen Hehl daraus gemacht, dass sie Griechenland – und nicht länger die Türkei – als den wichtigeren strategischen Partner in der Region sehen.
Diese für die Türkei wenig schmeichelhafte Einordnung liegt inzwischen einige Wochen zurück. Es bleibt abzuwarten, ob und in welchem Maße Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine und die damit einhergehenden geostrategischen Erschütterungen die strategischen Planspiele Washingtons in Bezug auf das östliche Mittelmeer beeinflussen.
Das Schmuddel-Image abzulegen und sich dem Westen als kooperativer Staatsmann, ja als Vermittler in schweren Zeiten zu präsentieren, ist längst eine Priorität der reformierten Außenpolitik Erdogans. In der Afghanistan-Krise hat sich der türkische Präsident als Mittler angeboten – und auch jetzt im Ukraine-Krieg, in einer für Ankara weitaus schwierigeren Gemengelage, sucht Erdogan nach Wegen, sich und sein Land auf der internationalen Bühne in Szene zu setzen.
Auffällig ist, dass Griechenland – von der Republik Zypern ganz zu schweigen – keinen Platz in Erdogans internationaler "Charme-Offensive“ hat. Man könnte meinen, das Gegenteil sei der Fall. Während die Türkei an anderen außenpolitischen Fronten den Ausgleich sucht, haben die Spannungen mit dem Nachbarn im Westen in den zurückliegenden Monaten wieder zugenommen. Kaum ein Tag vergeht ohne Berichte über türkische "Provokationen“ in den griechischen Medien. Ausführlich berichten die Zeitungen über Verletzungen des Luftraums über griechischen Ägäis-Inseln durch die Türkei. Einen Aufschrei lösten am Fuß der Akropolis zuletzt die Äußerungen des türkischen Außenministers Mevlut Cavusoglu aus, der mit Hinweis auf die nach türkischer Lesart unzulässige Bewaffnung der ostägäischen Inseln deren Souveränität unverblümt in Frage stellte.
Der Streit darüber, ob und in welchem Umfang Griechenland auf seinen dem anatolischen Festland vorgelagerten Inseln Soldaten stationieren und Befestigungsanlagen errichten darf, ist nicht neu und reicht zurück in die sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Bei dem Zwist handelt es sich um einen von mehreren Teilkonflikten in der Ägäis, bei denen es zudem um die Ausdehnung der Hoheitsgewässer, die Breite des Luftraums und nicht zuletzt die Abgrenzung des Festlandsockels geht.
Ankara stellt Souveränität der Ägäis-Inseln in Frage
Neu – und nicht nur aus griechischer Sicht besorgniserregend – ist, dass Ankara im Zusammenhang mit der Frage der Militarisierung dieser ostägäischen Inseln die griechische Souveränität über sie in Frage stellt.
"Griechenlands Souveränität über die Inseln war und bleibt abhängig von deren Entmilitarisierung“, heißt es in einem Schreiben des türkischen Botschafters bei den Vereinten Nationen Feridun Sinirlioglu an den Generalsekretär der Weltorganisation. Während der Brief des Diplomaten vom vergangenen September vermutlich bald in den New Yorker UNO-Archiven verschwunden wäre, ohne besonderes internationales Aufsehen zu erzeugen, hat die Berufung auf den Vorgang durch den türkischen Außenminister kürzlich erheblichen politisch-diplomatischen Staub aufgewirbelt.
Athen hat die türkischen Anschuldigungen unter anderem mit Hinweis auf das Recht auf Selbstverteidigung zurückgewiesen. Sodann haben die Griechen bei Freunden und Verbündeten politischen Beistand gesucht. Dieser ließ nicht lange auf sich warten: Die Regierungen in Washington und London stellten sich umgehend hinter Athen.
Eindeutig fiel auch die Reaktion der Europäischen Union aus: Ein Sprecher nannte die Äußerungen des türkischen Außenministers "kontraproduktiv“. Diese stünden im Widerspruch zu den Bemühungen um "Deeskalation im östlichen Mittelmeer“, die die Staats- und Regierungschefs der EU wiederholt zu einer Bedingung für die Weiterentwicklung der Beziehungen Ankaras zur EU erklärt hatten. In seiner Erklärung wurde der EU-Sprecher grundsätzlich: "Griechenlands Souveränität über diese Inseln steht außer Frage. Die Türkei sollte diese respektieren und diesbezüglich auf provokative Äußerungen und Handlungen verzichten.“
Über das Timing dieser türkischen Initiative gegen das Nachbarland kann man nur spekulieren. Verbale Provokationen – um die Diktion der EU zu übernehmen – gehören zur Tagesordnung im griechisch-türkischen Verhältnis und nähren in Griechenland die Befürchtungen, dass Ankara es darauf abgesehen hat, den territorialen Status quo in der Ägäis – notfalls auch unter Aushebelung des Völkerrechts – zu verändern. Äußerungen türkischer Regierungsvertreter befeuern immer wieder die historisch gewachsenen und tiefsitzenden Bedrohungsängste.
In diesen Tagen finden sich in den griechischen Medien zahlreiche Äußerungen, die die expansionistische Gewaltpolitik Putins mit den revisionistischen Absichten Erdogans gleichsetzen: "Trotz der offenkundigen Unterschiede, ist die Ähnlichkeit zwischen der russischen Methode, Ultimaten zu setzen und Erdogans (Politik) gegenüber Griechenland und der Republik Zypern besonders besorgniserregend“, schrieb der ehemalige Vizeaußenminister Yannis Valinakis in einem Kommentar kurz vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine.
Konflikt und Kooperation
Doch böse Worte und feindselige Unterstellungen sind nur die eine Seite des türkisch-griechischen Verhältnisses. Seit jeher ist das Nebeneinander von Konflikt und Kooperation ein Wesensmerkmal der bilateralen Beziehungen zwischen beiden Ländern. Während in den Schlagzeilen die Negativ-Meldungen dominierten, trafen Ende Februar führende Diplomaten aus beiden Ländern in Athen zur 64. Runde der türkisch-griechischen Sondierungsgespräche zusammen.
Es ist das älteste Forum zur Bemühung um diplomatische Konfliktlösung. Was hinter den Türen passiert, ist nicht bekannt. Allein, dass beide Seiten den Dialog fortführen, kann als Erfolg gefeiert werden. Etwa zeitgleich mit den Sondierungsgesprächen, bei denen es um die großen Themen auf der an Konfliktstoff reichen bilateralen Agenda geht, saßen die Vizeaußenminister der beiden Länder an einem Tisch, um über die Fortschreibung der so genannten "positiven Agenda“ zu verhandeln. Aus Verhandlungskreisen war zu hören, bei 17 von 25 Dossiers habe es Fortschritte gegeben. Konkret geht es dabei um praktische Fragen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Tourismus, in Handel und Verkehr oder die Anerkennung von Impfzertifikaten.
In den Medien der Nachbarländer finden diese konstruktiven Ansätze allenfalls am Rande Erwähnung. Auch hier scheint der (problematische) journalistische Grundsatz zu gelten, dass nur schlechte Nachrichten gute Nachrichten seien.
Umso erstaunlicher ist – und allemal ein Zeichen der Hoffnung -, dass trotz der negativen medialen Dauerberieselung laut einer aktuellen Meinungsumfrage 70 Prozent der Griechen und knapp 60 Prozent der Türken sich ein friedliches Nebeneinander mit dem Nachbarn wünschen.
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Dr. Ronald Meinardus ist Senior Research Fellow an der Hellenic Foundation for European and Foreign Policy (ELIAMEP) in Athen