Ein Traum von Freiheit 

Der aus Syrien stammende Journalist und Autor Omar Youssef Souleimane blickt in seinem Romandebüt zurück auf die Protestbewegung in 2011, eine Zeit der Hoffnung auf gesellschaftlichen Wandel und demokratische Strukturen.
Der aus Syrien stammende Journalist und Autor Omar Youssef Souleimane blickt in seinem Romandebüt zurück auf die Protestbewegung in 2011, eine Zeit der Hoffnung auf gesellschaftlichen Wandel und demokratische Strukturen.

Der aus Syrien stammende Journalist und Autor Omar Youssef Souleimane blickt in seinem Romandebüt zurück auf die Protestbewegung in 2011, eine Zeit der Hoffnung auf gesellschaftlichen Wandel und demokratische Strukturen. Volker Kaminski hat den Roman für Qantara.de gelesen.

Von Volker Kaminski

März 2011: Ein "Tsunami der Wut“ hat weite Teile der arabischen Welt erfasst, in Tunesien, Ägypten, Libyen, Jemen und Syrien demonstrieren junge Menschen in den Straßen der Großstädte und fordern die Regime heraus. In Damaskus ist auch Youssef, ein Alter Ego des Autors, unter ihnen und protestiert gegen das Assad-Regime.



Youssef ist Student in Damaskus und keineswegs ein Fanatiker, ein gebildeter junger Mann, der sich mitreißen lässt vom allgemeinen Aufruhr. Gleichzeitig ist er vorsichtig genug, bei Ausbruch des Bürgerkriegs seinen Wohnsitz in das kleinere Homs zu verlegen. Seitdem pendelt er zwischen den Städten und trifft sich heimlich mit den Mitgliedern einer Aktivistengruppe.  

Ein paar von ihnen lernen wir im Roman kennen, zum Beispiel Joséphine, die Gründerin der Gruppe "Daou“, die ihren Vornamen aus Verehrung für Josephine Baker angenommen hat und deren richtigen Namen niemand kennt. Sie ist die Seele der Gruppe, für sie ist es selbstverständlich, dass sie den Mitgliedern ihre Wohnung als Schlafplatz und Versammlungsort zur Verfügung stellt. 

Cover von Omar Youssef Souleimane "Der letzte Syrer", Lenos Verlag 2022; Quelle: Verlag
Omar Youssef Souleimane, geboren 1987 in al-Kutaifa bei Damaskus, ist in Saudi-Arabien aufgewachsen. Bis 2010 arbeitete er als Journalist in Syrien. Mit Ausbruch des Bürgerkrieges floh er über Jordanien nach Frankreich, wo er 2012 politisches Asyl erhielt. Heute lebt er als Schriftsteller in Paris. Omar Youssef Souleimane veröffentlichte mehrere preisgekrönte Gedichtbände sowie die autobiographische Erzählung "Le petit terroriste" (dt. Der kleine Terrorist, 2018). "Der letzte Syrer“ ist sein erster Roman.

Chalil, ein besonders aktives Mitglied, dessen Mut manchmal in Verwegenheit umschlägt, scheint überzeugt, dass sich das Regime überwinden lässt. Er glaubt an einen Sieg der "Revolution“ und malt sich aus, "dass die Soldaten desertieren und zur Unterstützung der Revolution eine neue Armee aufbauen".



Er sucht sich eine vermeintlich sichere Wohnung in einem ländlichen Stadtteil von Damaskus, dennoch kommt ihm der Geheimdienst auf die Spur und verhaftet ihn.  

Freiheitswille auch im Privaten

Im Vergleich zu ihm ist Joséphine wesentlich realistischer. Sie kann die Situation besser einschätzen. "Die Islamisten hassen uns, weil wir Laizisten sind; das Regime hasst uns, weil wir Rebellen sind, und die Politiker hassen uns, weil wir ehrlich sind", sagt sie.

"Sie schimpfen uns Verräter, Ungläubige, Häretiker, weil sie noch nicht wissen, was es bedeutet, frei zu sein.“ 

Dieser Freiheitswille bezieht sich nicht nur auf politische Reformen, sondern auch auf die freie Wahl des Sexualpartners, wie zum Beispiel die Liebe zwischen zwei Männern, die sich nur selten treffen können und sich ansonsten E-Mails schreiben.



Die Passagen, die sich um Mohammad und Youssef drehen (der daneben auch eine enge Beziehung zu Joséphine pflegt), gehören zu den emotional berührenden Seiten des Romans.



Mohammad betreibt eine Kleiderboutique in Damaskus, ist verheiratet, doch seine Ehe dient nur als Alibi und zur Beruhigung der Eltern.



Seine einzige Leidenschaft ist Youssef, nach dem er sich heftig sehnt und für den er stellenweise jede Vorsicht aufgibt. So fürchten wir beim Lesen, dass ihre Liebesbeziehung staatlichen oder islamistischen Kräften auffallen könnte, was zu harter Bestrafung und Gefängnis führen würde.    

Der politische Ton des Romans sorgt insgesamt für eine Distanz zu den Protagonisten, so dass wir sie als Individuen wenig kennenlernen. Ausgenommen sind jene Passagen, in denen es um die Beziehung zwischen Mohammad und Youssef geht.

Eine Brücke zur Demokratie?

Interessante Details werden eingestreut, so erfahren wir von Youssefs Vorliebe als Junge, sich die Kleider seiner Mutter und Schwestern anzuziehen und in ihnen fotografieren zu lassen.

Syrische Revolution in 2011; Foto: Andoni Lubaki/AP/picture alliance
März 2011: Ein "Tsunami der Wut“ hat weite Teile der arabischen Welt erfasst, in Tunesien, Ägypten, Libyen, Jemen und Syrien demonstrieren junge Menschen in den Straßen der Großstädte und fordern die Regime heraus. In Damaskus ist auch Youssef, ein Alter Ego des Autors, unter ihnen und protestiert gegen das Assad-Regime.



Mohammad dagegen mag keine Menschen mit Sonnenbrillen: "Er weiß nicht, wo sie hinschauen oder was ihre Gefühle und Absichten sind. Die Brille gibt ihm den Eindruck, es mit einem Gespenst zu tun zu haben.“ Solche beiläufigen Beobachtungen lockern die eher nüchterne, sachliche Atmosphäre des Textes auf und geben Hinweise auf das Gefühlsleben der Akteure. 

Nach etwa der Hälfte des Romans spitzen sich die Ereignisse dramatisch zu; einer der Freunde wird von einem Polizisten ohne triftigen Grund auf offener Straße erschossen. Im weiteren Verlauf wird deutlich, dass den Aktivisten die Geheimpolizei auf den Fersen ist. Es kommt zu Verhaftungen und Folter im Gefängnis, die der Roman offen darstellt.



Die Stimmung der Akteure verdüstert sich zunehmend, sie haben kaum noch Hoffnung für ihre Bewegung und müssen fürchten, jederzeit verhaftet zu werden: "Sie fangen uns, einen nach dem anderen, wie Kaninchen, und sie werden nicht aufhören, bis sie den Letzten haben!“ 

In dieser Lage ist es besonders wichtig, nicht zu verzweifeln und positive Signale aufzunehmen, wie es Mohammad macht, als er ein älteres Ehepaar beobachtet, das liebevoll miteinander umgeht: "Menschen wie die beiden schenken mir wieder Vertrauen in die Zukunft. Wir sind am Leben trotz der Ruinen, die uns umgeben.“   

Ein düsterer, gleichwohl spannender Roman, der bis zum Ende an der verzweifelten Hoffnung festhält, dass die jetzige Generation "eine Brücke“ bilde, über die kommende Generationen "zur Demokratie (…) gelangen“ werden.  

Volker Kaminski

© Qantara.de 2023

Omar Yousef Souleimane, Der letzte Syrer, Roman, aus dem Französischen übersetzt von Christiane Kayser, Lenos Verlag 2022