Befreiungskampf und Terroristenbekämpfung vor dem Monitor

Computerspiele, die die Brutalität der Wirklichkeit abbilden, haben nicht nur im Westen viele Anhänger. Auch in der arabischen Welt wird der Befreiungskampf mittlerweile am Computer geprobt.

Von Alfred Hackensberger

Die Uzis knattern, Handgranaten krachen, die israelischen Soldaten hinter den hohen Barrikaden ihres Militärpostens sterben mit einem tiefen "Ahhhh". Gleichzeitig schnellt das Punktekonto in die Höhe. Der Weg ist frei für das nächste Level im Kampf gegen die zionistischen Besetzer Palästinas.

"Under Siege" heißt ein neues, dreidimensionales Computerspiel, das den "Befreiungskampf des palästinensischen Volkes" zum unterhaltsamen Thema macht. Produziert wurde es von der in Damaskus ansässigen Softwarefirma Afkar Media, die bereits 2001 "Under Ashes", ein ganz ähnliches Spiel herausgebracht hatte.

Die Geschichte von Ahmed, einem Jungen in der Intifada 2000, war 500.000 Mal von der Firmenwebseite herunter geladen und 10.000 Stück im Mittleren Osten verkauft worden. Aufgrund des Erfolgs entschloss sich die syrische Firma, einen aktualisierten Nachfolger auf den Markt zu bringen.

Wie schon "Under Ashes" basiert auch das neue "Under Siege" auf realen Gegebenheiten. Die Eröffnungssequenz handelt vom Attentat des aus New York stammenden jüdischen Arztes Baruch Goldstein. Der radikale Jude tötete 1994 in der Moschee von Jericho 27 palästinensische Gläubige beim Gebet und verletzte über hundert andere.

Die Geschichte zurückdrehen

Die Spieler von "Under Siege" bekommen nun Gelegenheit, dieses Ereignis ungeschehen zu machen. Es gilt, Baruch Goldstein möglichst schnell und genau abzuschießen.

"Wir versuchen", sagt Radwan Kasmiya, der Manager von Afkar Media, "eine neue Art von digitaler Würde zu liefern". "Under Siege" sei keine Antwort auf die Bestsellerspiele aus den USA, wie "Delta Force" oder "America’s Armay", die meist nur arabische Klischees und Stereotypen bedienen.

"Unser Spiel ist keines über das Töten. Wir erzählen eine Geschichte", meint Kasmiya, der bereits mit dreizehn angefangen hat zu programmieren.

Die Geschichten handeln von Jugendlichen, die mit Steinschleudern gegen Panzer vorgehen und Tränengasbomben zurückwerfen sowie von erwachsenen Kämpfern, die mit dem Maschinengewehr in der Hand das israelische Militär bekämpfen.

In "Under Ashes" gibt es auch die Episode einer Selbstmordattentäterin, die in Israel heftig kritisiert wurde. Eine junge Frau liefert ihre Kinder bei den Verwandten ab, bevor sie eine Granate inmitten israelischer Soldaten zündet. Diese hatten kurz vorher ihren Mann kaltblütig erschossen.

"Das ist keine Geschichte der Verzweiflung", erklärt der Manager von Afkar Media, "hier geht es um die Bereitschaft, sein Leben für andere zu opfern".

Updates von Hisbollah

Mit dieser "Opferbereitschaft" hinkt das Softwarehaus aus Damaskus jedoch den aktuellen politischen Ereignissen hinterher, wo sich palästinensische und israelische Politiker gerade etwas annähern.

Zudem befürworten nach neuesten Umfragen seit der Präsidentschaft Mahmud Abbas nur noch 29 Prozent der Menschen "Selbstmordunternehmen". Letztes Jahr hatten dagegen noch 77 Prozent der palästinensischen Bevölkerung für derartige Aktionen votiert.

"Under Ashes" und der Nachfolger "Under Siege" sind nicht die einzigen arabischen "Wargames". Anfang letzen Jahres erschien "Special Force", entwickelt von der Computer- und Internetabteilung der Hisbollah, die seitdem auch regelmäßig Updates liefert.

Ebenso wie die Produkte aus Damaskus basiert auch das Kriegsspiel der "Partei Gottes" auf realen Begebenheiten. Es ist als digitales Denkmal gedacht, das an die Vertreibung der israelischen Besatzungsmacht aus dem Südlibanon im Jahr 2000 erinnert.

Islamische Soldaten werden auf ihren "Befreiungsmissionen" gezeigt, wie sie die Außenposten des israelischen Militärs im libanesisch-israelischen Grenzgebiet erobern. Die libanesische Widerstandsbewegung versucht mit "Special Force", eine Medienlücke schließen.

Gegenpol zu amerikanischer Sichtweise

Was die Sender Al-Jazeera oder Al Arabyia im Nachrichtengeschäft sind, will die Organisation im Computer-Entertainment sein: Eine arabische Gegenöffentlichkeit zur prowestlichen Dominanz. "Special Force ist nur der erste Schritt. Mit der Zeit wird die Bewegung immer größer", prophezeit Bilal Zeyn vom Internet-Büro der Hisbollah.

Was man in den meisten amerikanischen Spielen geboten bekommt", erklärt er weiter, "ist eine Demütigung für islamische und arabische Länder". Arabische Soldaten und Zivilisten taugten gewöhnlich nur als terroristisches Kanonenfutter, und der Held, der sie tötet, sei in der Regel Amerikaner. "In Special Force sind die Araber keine Terroristen, sondern Freiheitskämpfer".

Das Hisbollah-Spiel wurde mittlerweile über 20.000 Mal verkauft. Hauptsächlich nach Syrien, Iran, Kuwait und in die Vereinigten Emirate. Nach Europa und Australien gingen gerade mal 1500 Exemplare.

Aber dennoch regte sich in der westlichen Welt der stärkste Protest. In Großbritannien wurde das Spiel von jüdischen Organisationen aufs Schärfste verurteilt. In Australien nannte es Michael Danby, ein Labour-Parlamentarier, "entmenschlichend". Es würde "junge Menschen dazu ermutigen, an Selbstmordattentaten und an Angriffen gegen Menschen aus dem Westen teilzunehmen".

Diese Vorwürfe werden auch auf "Under Siege" aus dem Hause Afkar Media in Damaskus zukommen, wenn das Computerspiel auf Englisch erscheint. Übersetzt von freiwilligen Helfern in Europa, Asien und Südamerika.

Spiele aus den USA und Israel

Was aber die "Unmenschlichkeit" und "Blutrünstigkeit" von "Under Siege" und "Special Force" von Hisbollah betrifft, liegen beide weit hinter den kommerziell so erfolgreichen Spielen aus den USA und Israel.

Knapp 1,5 Millionen Menschen sind für "America’s Army" registriert, das auf der Webseite der US-Armee zu finden ist. Von den 35.000 Menschen, die es täglich spielen, klicken laut US-Verteidigungsministerium zwischen 20 und 30 Prozent die Rekrutierungsseite der Armee an. Bei "America’s Army" gilt es, Terroristen im Irak und Afghanistan zu vernichten, wobei keine Rücksicht auf Kollateralschäden genommen wird.

Ganz ähnlich bei "Israeli Airforce". Als Pilot eines israelischen Kampfflugzeuges kann man während der Invasion des Libanon 1982 die Option "Carpet bombing over Beiurt" wählen. Beide Spiele wurden in einschlägigen Magazinen und Webseiten wegen ihrer "realistischen Wiedergabe" gerühmt.

"Angesichts der aktuellen politischen Entwicklung im Irak", heißt es auf der bekannten Webseite von "worthplaying.com", sei es nicht verwunderlich "dass in den USA derartige Kriegsspiele auf dem Vormarsch sind".

Eines von vielen ist "Terrorist Takedown", das im November letzten Jahres erschienen ist. "Als Soldat der US-Armee bist du in vorderster Front im Kampf gegen den Terrorismus. Mit Apache- and Huey-Hubschrauber, Hummers und schweren Maschinengewehren, Rocket Launcher bekannte Terroristen unschädlich machen. Eine herzklopfende Mission, unsere Heimat zu verteidigen".

"Game Over", wenn ein Zivilist getötet wird

Bei den arabischen Spielen mag es nicht minder propagandistisch zugehen, dafür werden aber Zivilisten nicht gnadenlos geopfert. Beim "palästinensischen Befreiungskampf" von "Under Ashes und "Under Siege" gibt es Punkteabzug oder heißt es "Game Over", wenn nur ein Zivilist getötet wird.

Beim Hisbollah-Spiel, "Special Force", gibt es gar keine Zivilisten, die in Mitleidenschaft gezogen werden könnten. Im Vergleich zu den "US-Wargames" interessieren sich die Kids in Beirut oder auch in den palästinensischen Flüchtlingslagern im Libanon wenig für die Produktionen aus dem arabischen Raum.

"Die meisten kennen die Spiele gar nicht", sagt ein Student, der als Internet-Supervisor im Starcafe arbeitet. "Alle Spiele bleiben nur über einen kurzen Zeitraum interessant. Dann wird etwas Neues gesucht.

In der Computerabteilung der Hisbollah wird mittlerweile an einem neuen "Widerstandsspiel" gearbeitet. "Wesentlich ausgefeilter, mit Hubschraubern und vielerlei neuen Missionen", erzählt Bilal Zeyn, der Leiter des Internetbüros. Mehr Informationen könne er aber nicht geben, sagt er geheimnisvoll und lächelt fast so, wie der überlebensgroße Ajatollah Khomeini hinter ihm an der Wand.

Alfred Hackensberger

© Qantara.de 2005

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