Getrübte Perspektiven für palästinensische Wirtschaft

Für den Wiederaufbau des Gazastreifens will die internationale Gemeinschaft mehr als fünf Milliarden Euro bereit stellen. Aber es gibt massive Hindernisse, die einen Wiederaufbau erschweren. Bettina Marx berichtet.

Ruinen in Gaza; Foto: AP
Die Zerstörungen der Infrastruktur im Gazastreifen sind immens. Noch immer haben rund 100.000 Menschen keine feste Unterkunft und sind auf Hilfsgelder für den Aufbau ihrer zerstörten Häuser angewiesen.

​​ Im Norden des Gazastreifens sieht es aus wie nach einem Erdbeben. In Jebalya haben israelische Truppen nicht nur ein ganzes Wohnviertel dem Erdboden gleichgemacht. Sie haben auch das kleine Industriegebiet zerstört, das die Jahre der Blockade überdauert hatte.

Die Truppen vollendeten damit das, was Israel 41 Jahre zuvor mit der Besetzung des Gazastreifens begonnen hatte: die Demontage der palästinensischen Wirtschaft. "De-development" – also "De-Entwicklung" nennt die amerikanische Wirtschaftswissenschaftlerin Sara Roy diesen Prozess, den sie in ihrem 1995 erschienenen Standardwerk über die Wirtschaft des Gazastreifens beschrieben hat.

Mit der Eroberung und Besetzung im Jahr 1967 habe Israel den Gazastreifen vom ägyptischen Hinterland abgeschnitten und die wirtschaftlichen Beziehungen in die arabische Welt gekappt. Stattdessen wurde der schmale Landstrich in den Dienst der israelischen Wirtschaft gestellt.

Die palästinensischen Institutionen in Gaza wurden zerschlagen, die Handelskammer geschlossen und die Bevölkerung zu Tagelöhnern auf israelischen Baustellen gemacht.

Keine Hoffnung auf wirtschaftliche Gesundung

Selbst der Friedensprozess wurde für die Palästinenser von Gaza zum Desaster, da das Gebiet während des Oslo-Friedensprozesses vollkomen von Israel und der Welt isoliert wurde, erklärt Sara Roy, die in Harvard politische Ökonomie lehrt.

US-Außenministerin Hillary Clinton und Ägyptens Präsident Hosni Mubarak auf der Geberkonferenz in Sharm el-Sheikh; Foto: AP
Auf der Geberkonferenz im ägyptischen Scharm El Scheikh wurden für den Wiederaufbau von Gaza rund fünf Milliarden Euro Hilfsgelder beschlossen.

​​"Es wurde ein System von Beschränkungen und Absperrungen errichtet, das die Menschen in diesem isolierten kleinen Gebiet eingesperrt hat."

Man dürfe sich daher nicht über die Gewalt wundern, die in Gaza immer wieder ausbreche. Die Menschen im Gazastreifen verhielten sich wie die Insassen eines großen Gefängnisses, aus dem es kein Entrinnen gäbe.

Der Rückzug der Israelis im Sommer 2005 brachte nicht den vielerorts erwarteten wirtschaftlichen Aufschwung, Im Gegenteil, er verstärkte diese Isolation noch mehr, denn seither sind die 1,5 Millionen Einwohner des schmalen Landstrichs völlig von der Außenwelt abgeschnitten.

Nach dem Wahlsieg der Hamas im Januar 2006 verhängte Israel, unterstützt durch die USA und Europa, eine strenge Wirtschaftsblockade, die jede Aussicht auf eine wirtschaftliche Gesundung Gazas zunichte machte.

Auch nach dem Gazakrieg blieben die Grenzen bislang geschlossen. Noch nicht einmal Baumaterialien für den Wiederaufbau werden hereingelassen. 100.000 Obdachlose sitzen buchstäblich auf den Trümmern ihrer Häuser und warten.

Sie warten auf Hilfe von außen und auf die Öffnung der Grenzen. Doch die hat Israel vom Schicksal des gefangenen israelischen Soldaten Gilad Shalit abhängig gemacht, den die Hamas aber nur im Austausch gegen palästinensische Häftlinge in israelischen Gefängnissen frei lassen will.

"Ohne Ventil wird das Gebiet explodieren"

Die Politik der Besatzung ist aber nicht das einzige Problem des Gazastreifens, unterstreicht Sara Roy. Hinzu komme, dass der Gazastreifen über keinerlei Ressourcen verfügt und selbst die Grundwasservorräte aufgebraucht sind.

Die Infrastruktur wurde durch immer wiederkehrende israelische Militäroperationen schwer beschädigt, die Abwasserentsorgung steht vor dem Kollaps, das Gesundheitswesen ist völlig überfordert und das Bildungssystem überlastet.

Hilfsgüterlieferung in Jabaliya; Foto: DW
Nach dem Ende der israelischen Militäroperation im Gazastreifen läuft die humanitäre Hilfe für die notleidende Zivilbevölkerung noch immer sehr schleppend an.

​​Das drängendste Problem aber ist die Überbevölkerung und die extrem hohe Geburtenrate. Auf den 350 Quadratkilometern des Gazastreifens leben bereits heute 1,5 Millionen Menschen. Demographen erwarten, dass sich ihre Anzahl in den nächsten zehn Jahren verdoppeln wird.

"Wenn für diese Menschen nicht ein Ventil geschaffen wird, dass sie das Gebiet verlassen können, zum Arbeiten oder für Bildungszwecke, dann wird das Gebiet explodieren. Es gibt dafür keine Alternative", so die Prognose der Wissenschaftlerin.

In den letzten Jahren habe sich nicht nur die Wirtschaft des Gazastreifens zurück entwickelt, sondern auch die Gesellschaft. Die junge Bevölkerung sei traumatisiert, ent-bildet und ent-qualifiziert. Keine guten Voraussetzungen also für den Wiederaufbau des Gazastreifens.

Bettina Marx

© Deutsche Welle 2009

Bettina Marx ist langjährige Nahost-Hörfunkkorrespondentin.

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