Türkisch und unverzichtbar
Was haben wir Deutschen doch früher gelästert über unsere türkischen Gastarbeiter! "Schau mal, Mutti" sagte Vati da in seinem blank gewienerten Mercedes auf dem Weg ins sonnige und äußerlich noch intakte Jugoslawien. "Der voll beladene Ford Transit da drüben - das kann ja wohl nur mal wieder einer dieser Türken auf seinem Heimweg nach Anatolien sein." Sofern Vati damals nicht in seiner überheblichen Art - und politisch mal wieder völlig inkorrekt - sogar von einem "Knoblauchfresser" gesprochen hat.
Die Waschmaschinen sind vom Dach
Wer weiß das schon noch! Fest steht jedenfalls: Die Deutschen sind inzwischen längst selbst passionierte "Knoblauchfresser" - weil das nun mal zu unserem kosmopolitischen Selbstverständnis gehört. Der Döner hat die Bratwurst verdrängt. Und auf deutschen Autobahnen sieht man auch keine klapprigen "Türken-Autos" mehr, auf deren Dächern sich früher - in abenteuerlicher Höhe - olle Matratzen, überquellende Riesen-Koffer und sogar Waschmaschinen und Kühlschränke stapelten.
Was also hat sich geändert? Wer die heutige Situation mit den Anfängen der Gastarbeiter-Anwerbung vor rund 40 Jahren vergleicht, kann nur zu dem Schluss kommen: eine ganze Menge! Nicht nur, dass - trotz aller Integrationsprobleme - aus Gastarbeitern inzwischen längst Mitbürger geworden sind, immer häufiger auch mit deutschem Pass. Nein, auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind heute ganz anders: Statt mit einem Ford Transit reist man heute eben mit einem - nicht selten türkischen - Billigflieger.
Gemeinsam in die Handelskammer
Außerdem muss heute kein Deutschland-Türke mehr mühsam monströse Elektrogeräte auf Autodächer verladen und gen Bosporus kutschieren. Ganz im Gegenteil: Viele Apparate, die deutsche Unternehmen heutzutage in die Schaufenster stellen, werden inzwischen als Auftragsarbeit und zu weitaus günstigeren Produktionskosten in der Türkei produziert. Und der gute alte deutsche Grundig-Konzern - er musste Insolvenz anmelden und wurde von einer ausländischen Investorengruppe aufgekauft. Maßgeblich daran beteiligt: der türkische Konzern Beko.
Und jetzt auch noch das: Gründung einer Türkisch-Deutschen Industrie- und Handelskammer in Köln im Beisein von Bundeskanzler Gerhard Schröder und dem türkischen Regierungschef Recep Tayyip Erdogan. Natürlich, bei so einer Gelegenheit sagt man immer etwas Nettes, gerade als Politiker. Aber die beiden haben keineswegs übertrieben, als sie die Entwicklung der türkisch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen als eine echte Erfolgsstory würdigten.
Gemüse? Nichts da: Reisen und Klamotten
Die Zahlen sprechen für sich: Nicht nur, dass Deutschland der mit Abstand wichtigste Handelspartner der Türkei ist - allein im vergangenen Jahr betrug das Außenhandelsvolumen mehr als 16 Milliarden Euro. Auch die einstigen türkischen Gastarbeiter haben wirtschaftlich gut aufgerüstet: Inzwischen gibt es in Deutschland knapp 60.000 Unternehmen türkischer Herkunft. Keineswegs nur Dönerbuden und Gemüseläden, sondern auch Großunternehmen wie der Hamburger Reiseveranstalter Vural Öger oder der Aachener Textilfabrikant Kemal Sahin.
Türkische Unternehmer in Deutschland setzen jährlich rund 30 Milliarden Euro um. Sie sind unverzichtbare Steuer- und Rentenkassen-Einzahler. Und, nicht minder wichtig: Sie beschäftigen über 350.000 Mitarbeiter. Wo Türken doch früher immer in Verdacht standen, den Deutschen die Arbeitsplätze wegzunehmen ...
Experten erwarten übrigens, dass sich all diese wirtschaftlichen Kennzahlen in den nächsten zehn Jahren verdoppeln werden. Aber selbst wenn nicht: Es wird Zeit, die Türken in Deutschland nicht mehr immer nur mit Kopftüchern oder Ausländer-Ghettos in Verbindung zu bringen. Die 60.000 türkischen Unternehmer in Deutschland jedenfalls sind fleißige Geschäftsleute. Sie tun alles für ihr Unternehmen. Und sie tun damit auch etwas für Deutschlands Zukunft.
Rainer Sollich
© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2004