Großereignisse um jeden Preis?

Sportliche Großereignisse wie die WM dienen allen Ausrichtern vor allem dazu, sich mit einem glattpolierten Image zu präsentlieren . Solchen Zwecken müssen wir nicht dienen, schreibt Samuli Schielke in seinem Kommentar.
Sportliche Großereignisse wie die WM dienen allen Ausrichtern vor allem dazu, sich mit einem glattpolierten Image zu präsentlieren . Solchen Zwecken müssen wir nicht dienen, schreibt Samuli Schielke in seinem Kommentar.

Sportliche Großereignisse wie die WM dienen allen Ausrichtern vor allem dazu, sich mit einem glattpolierten Image zu präsentieren. Solchen Zwecken müssen wir nicht dienen, schreibt Samuli Schielke in seinem Kommentar.

Essay von Samuli Schielcke

Deutsche Fans werden zunehmend kritischer gegenüber der anstehenden Fußball-WM in Katar, und das ist auch richtig so. Katar steht in einer langen Reihe von Ländern, die internationale Sportereignisse (man denke an die WM in Russland und die Olympischen Spiele in China), Klimakonferenzen, Weltausstellungen und dergleichen organisieren, um sich international zu profilieren. So sollen ihre ausbeuterischen, gewalthaften und nicht nachhaltigen Praktiken vertuscht werden.

Das funktioniert gut, weil so viele Menschen auch aus dem wohlhabenden Westen bei all diesen Großereignissen dabei sein wollen. Die Versprechen und Reden klingen schön. Viele Menschen aus Deutschland verdienen an den Großereignissen kräftig mit. Whitewashing nennt man das im politischen Jargon.  

Ausbeutung gibt es auch bei uns

Das Problem hat aber weniger mit Katar zu tun und mehr mit dem internationalen Profisport. Katar hat schon lange Arbeiter ausgebeutet, und wird es auch weiterhin tun, genau wie viele andere Länder, darunter auch Deutschland.

Wir beuten andere meist nicht innerhalb der deutschen Grenzen aus, sondern lassen woanders produzieren. Aber auch in Deutschland selbst gibt es zweifelhafte Arbeitsbedingungen. Die Initiative United Against Modern Slavery verweist auf Nagelstudios, die ihre Angestellten mit Knebelverträgen nach Europa oder in die USA holen. Diese brauchen dann erst einmal ein paar Jahre, um die entstandenen ursprünglichen "Reise- und Visakosten“ abzuarbeiten. Gut, dass uns diese Praktiken immerhin jetzt stören.

Arbeiter auf einer Baustelle in Katar; Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance
Wie alle anderen Golfstaaten auch hat Katar ein ausbeuterisches System der Visavergabe, die an Arbeitsverträge verbunden sind. Die Arbeiter sind vom Willen ihres "Sponsors" abhängig und können nicht frei ihre Arbeit wechseln. Obwohl dieses sog. Kafala-System in Katar (als einzigem Golfstaat) abgeschafft wurde, existiert es in der Praxis in Teilen wohl noch weiter. Gewerkschaftliche Organisation und Streiks sind nicht erlaubt. Ausbeutung gibt es allerdings auch in Europa und den USA, schreibt Samuli Schielke und erinnert an die Angestellten von Nagelstudios, die aus dem Ausland angelockt werden und dann erst einmal jahrelang angebliche Visagebühren abbezahlen müssen.



Die Kritik an der Fußballweltmeisterschaft kommt freilich ein bisschen spät, denn wir wissen schon lange, dass der internationale Fußball durch und durch korrupt ist. Seit 2015 wissen wir, dass auch die WM 2006 in Deutschland gekauft war. Die WM 2022, gekauft von einem Land, das auch seine sportlichen Talente einkauft, ist da nur die Zuspitzung einer insgesamt unverschämten Politik des schönen Scheins durch fragwürdige Akteure.

Nicht Sklaverei sondern Kapitalismus

Die gesamte professionelle Fußballwelt ist Komplize. Ich werden die WM 2022 boykottieren und nach Möglichkeit den gesamten internationalen Profisport. Ich habe mir auch die letzten Olympischen Spiele in 2020 schon nicht angeschaut - aus eben dem Grund, obwohl Japan viel bessere Arbeitsbedingungen bietet als Katar.

Die Spiele werden trotzdem stattfinden und das liegt auch im Interesse der Arbeiterinnen und Arbeiter in Katar, denn sie brauchen Jobs. Sie hätten auch nichts davon, wenn in Katar keine WM stattfinden würde. Genauso geht es Fabrikarbeiterinnen in Bangladesch nicht dann besser, wenn ich kein neues Hemd kaufe, sondern wenn ihnen mehr vom Preis meines neuen Hemds als Lohn ausgezahlt wird, als das bisher der Fall ist.

Wie alle anderen Golfstaaten auch hat Katar ein ausbeuterisches System der Visavergabe, die an Arbeitsverträge verbunden sind. (Das sog. Kafala-System wurde offiziell abgeschafft, nach Angaben von Menschenrechtlern existieren in der Praxis Teile von diesem System aber immer noch, Anm. der Red.) Die Arbeiter sind vom Willen ihres "Sponsors" abhängig und können nicht frei ihre Arbeit wechseln.

 

 

Gewerkschaftliche Organisation und Streiks sind nicht erlaubt. Allerdings halte ich wenig vom Vergleich mit der Sklaverei. Die Ausbeutung der Arbeiter in Katar und anderswo heute ist nicht Sklaverei, sondern Kapitalismus. Der ermöglicht auch europäischen Unternehmen, die in der Region investieren, gute Gewinne. 

Die Fifa? Am besten abschaffen

Inzwischen wissen mehr Leute als früher von diesen Zuständen und das ist gut. Hätte man eine grundlegende Reform des Visa- und Arbeitsrechts zur Bedingung für die Vergabe gemacht, hätte das vielleicht auch konkret mehr bewirkt. Wäre die FIFA tatsächlich eine Organisation, die sich in erster Linie für fairen Sport und das Wohl von Menschen interessiert, könnte man darauf hoffen, dass die Einhaltung von Arbeitsrechten mindestens bei künftigen Spielen zur Bedingung gemacht wird.

Die FIFA, die wir heute kennen, verfolgt aber ganz andere Ziele und sollte am besten abgeschafft werden. Währenddessen setze ich meine Hoffnung darauf, dass die Spiele zwar stattfinden und die Arbeiter ihre Gehälter und Bonusleistungen ausbezahlt bekommen, die Spiele selbst aber möglichst wenig Interesse wecken. Ihr wahrer Zweck ist es schließlich, Werbung für das Land Katar und sein glattpoliertes öffentliches Bild zu machen. Solchen Zwecken müssen wir nicht dienen. 

Samuli Schielke

© Qantara.de 2022 

Dr. Samuli Schielke ist Dozent am Leibniz-Zentrum Moderner Orient in Berlin mit Fokus auf Ägypten und die Golfstaaten. Zuletzt erschienen ist von ihm: "Migrant Dreams: Egyptian Workers in the Gulf States", Cairo 2020, American University in Cairo Press