Gewalt gegen Frauen hat zugenommen

Seit dem Stopp der finanziellen Unterstützung ist ein Anstieg sexueller Gewalt gegenüber Frauen in den palästinensischen Gebieten zu verzeichnen, besonders in den Flüchtlingslagern.

Von Petra Tabeling

Das Einfrieren der Hilfszahlungen des Nahost-Quartetts hat Studien des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) zufolge bereits massive Auswirkungen gezeigt.

Die meisten Geberländer hatten ihre Hilfszahlungen für die palästinensischen Gebiete nach dem Wahlsieg der Hamas-Regierung im Januar dieses Jahres eingestellt, da diese sich bislang weigerte, das Existenzrecht Israels anzuerkennen und auf Gewalt zu verzichten.

Die Schwächsten der Gesellschaft

"Das hatte fatale Konsequenzen für uns", berichtet Shabaneh Luay, Präsident des palästinensischen Büros für statistische Erhebungen (Palestine Central Bureau of Statistics). Innerhalb des ersten Jahresquartals 2006 sei die Armutsrate von 29 Prozent auf 47 Prozent gestiegen. Vor allem Frauen und kinderreiche Familie seien davon betroffen.

Politiker hätten nicht bedacht, dass sich diese Maßnahmen vor allem auf die Schwächsten in der palästinensischen Gesellschaft, nämlich auf Frauen und Kinder, ausgewirkt hätten, kritisierte Luay kürzlich auf einem internationalen Symposium gegen sexuelle Gewalt in Kriegs- und Krisengebieten in Brüssel.

Die humanitäre Hilfsversorgung sei derzeit unmöglich, die sozialen Strukturen geschwächt, die Gesundheitsversorgung in den besetzten Gebieten und besonders in den Flüchtlingscamps kaum möglich, Helfer erhalten momentan keine Gehälter, auch psychologische Beratung finde kaum mehr statt.

Eine Studie aus dem vergangenen Jahr hatte gezeigt, dass 21 Prozent der palästinensischen Frauen bereits einmal mit sexuellen Übergriffen und sexueller Gewalt konfrontiert waren; dies betrifft sowohl verheiratete und ledige Frauen wie auch Kinder und ältere Personen.

Bewusstseinsproblem gegenüber Gewalt

Der dramatische Anstieg der Gewalt im Zuge des Israel-Palästina-Konflikts – insbesondere nach der zweiten Intifada -führte in den vergangenen Jahren zu einem dramatischen Anstieg der sozialen wie auch der häuslichen Gewalt, so das Fazit von Hilfsorganisationen und UNFPA, die bereits seit zwanzig Jahren in den palästinensischen Autonomiegebieten tätig sind und lokale Initiativen koordinieren und unterstützen.

Auch die UN-Sonderberichterstatterin über Gewalt gegen Frauen, Yakin Ertürk, kam bei ihrem Besuch in den besetzten Gebieten 2005 zu dem Schluss, dass der Konflikt sich in "unverhältnismäßiger Weise auf die palästinensischen Frauen in den besetzten Gebieten auswirke".

Frauen werden nicht nur durch israelische Sicherheitskräfte getötet oder verletzt, sie sind gleichermaßen von Hauszerstörungen betroffen und in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt, was den Zugang zu Einrichtungen der Gesundheitsfürsorge sowie der Bildung behindert.

Gewalt erleben sie also zum einen von israelischer Seite wie auch durch die eigene Familie. Armut, Frustration und die tägliche Bedrohung und Einschränkungen in den palästinensischen Gebieten führten aber ebenso zu Gewalttaten gegenüber der eigenen Familie. "Das Problem ist, dass der Begriff Gewalt in diesen Kreisen anders verstanden wird, im Vergleich zur internationalen Auffassung von Gewalt", so Shabaneh Luay.

"Jede fünfte Person ist z.B. der Ansicht, dass das Prügeln des eigenen Kindes keine Gewalt sei. Gewalt wird als etwas definiert, was von außen kommt und beispielsweise von Unterdrückern verübt wird, aber nicht als etwas, was von den eigenen Familienmitgliedern ausgehen kann."

Daher sei es auch äußerst schwierig, verlässliche Daten zu erheben, ebenso sei die Zahl der offiziell bei den Polizeibehörden gemeldeten Taten sehr gering, doch stehe das in keinem Vergleich zu einer weitaus höheren Dunkelziffer. Ein Bewusstseinsproblem, das auf lokaler Ebene dringend analysiert, erforscht und mit Aufklärungskampagnen verbunden werden müsse.

Multidimensionale Allianzen gegen Gewalt

Diese Punkte beinhaltete ein Nationaler Aktionsplans, der in Brüssel auf dem ersten großen internationalen Symposium der Vereinten Nationen und der Europäischen Kommission zum Thema 'Sexualisierte Gewalt in Kriegs- und Krisengebieten' Ende Juni vorgestellt wurde.

Die Forderung im Wesentlichen: Eine langfristige und multidimensionale Kooperation aller Organisationen und Institutionen, sowohl lokal als auch auf internationaler Ebene, und eine Allianz zwischen Bildungs-, Gesundheits- und anderen sozialen Bereichen.

Doch müsse der Kampf gegen Gewalt an Frauen auch zum Anliegen in der Politik werden. Dabei dürfe nicht die Dimension der sexuellen Gewalt in den Besetzten Gebieten vergessen werden, die sich täglich an den Checkpoints in Israel und den palästinensischen Gebiete gegen palästinensische Frauen abspiele, kritisierte Luay.

Sana Asi, Projektkoordinatorin von MIFTAH, einer palästinensischen Initiative zur Unterstützung des globalen Dialogs und der Demokratie, hofft daher auf eine internationale Kooperation:

"Wir wollen ein Bewusstsein und einen Dialog zwischen Politikern und anderen Organisationen schaffen, um diese heiklen Punkte in der palästinensischen Gesellschaft anzusprechen. Wir möchten der internationalen Gemeinschaft die Situation in Palästina erklären und Netzwerke zwischen nationalen und internationalen Organisationen aufbauen."

Petra Tabeling

© Qantara.de 2006

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