Mit dem Rücken zur Wand

Die Abwertung des ägyptischen Pfunds und steigende Lebensmittelpreise treffen Ägypten hart. Immer mehr Menschen rutschen in die Armut ab. Karim El-Gawhary berichtet aus Kairo.

Von Karim El-Gawhary

Als Ende letzten Jahres die staatlich kontrollierten Medien in Ägypten in einer Kampagne den gesundheitlichen Nutzen des Konsums von preiswerten Hühnerkrallen als Proteinquelle anpriesen, da wussten die Ägypter, dass ihnen 2023 ein hartes Jahr bevorsteht. Denn Fleisch und Geflügel waren zu dem Zeitpunkt für viele bereits zu teuer. Wie hart es werden würde, konnten sie damals nur ahnen. Spätestens seit Anfang Januar, als die ägyptische Währung um weitere 13 Prozent gegenüber dem Dollar abgewertet wurde, gibt es in Kairo nur ein Thema: die Preissteigerungen. 

Hassan Ahmad (Name geändert) arbeitet als Lieferbote in Kairo. Er ist verzweifelt. Auf Facebook hat er ein Video von einem mehrfachen Vater gesehen, der sich vom Balkon stürzte, weil er seine Familie nicht mehr ernähren konnte, erzählt Hassan immer noch sichtlich schockiert. Bei vielen Familien gäbe es nur noch eine Mahlzeit am Tag. Auf jedem Markt, auf den er geht, gebe es Streit wegen der Preise. 



Hassan ist kein Einzelfall. Er gehört zu den 60 Prozent Ägyptern, die laut Weltbank entweder unter der Armutsgrenze leben oder kurz davor stehen, unter diese zu rutschen. In absoluten Zahlen gerechnet betrifft das 60 Millionen Menschen.

Die katastrophale wirtschaftliche Lage des Libanon hat es in den letzten Monaten immer wieder in die Schlagzeilen geschafft, manchmal auch die leeren Supermarktregale in Tunesien. Doch nun steht das bevölkerungsreichste arabische Land, Ägypten, mit seinen über 100 Millionen Einwohnern vor enormen wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen.

Bäckerei in Kairo; Foto: Khaled Desouki/AFP/Getty Images
Eine Bäckerei in Kairo. Viele Menschen sind existentiell abhängig von subventioniertem Brot. Bei anderen Lebensmitteln sind die Preise dramatisch gestiegen. Sie sind im Schnitt im letzten Jahr um mehr als ein Drittel teurer geworden, bei anhaltend niedrigen Löhnen für die Mehrheit der Ägypter. Der Grund für die Entwertung des Pfundes: Dem ägyptischen Staat gehen die US-Dollar aus. "Spätestens seit Anfang Januar, als die ägyptische Währung um weitere 13 Prozent gegenüber dem Dollar abgewertet wurde, gibt es in Kairo nur ein Thema: die Preissteigerungen“, schreibt Karim El-Gawhary. 

Weitere Abwertung des ägyptischen Pfund erwartet

Die ägyptische Währung hat seit letztem März die Hälfte ihres Wertes verloren. Die Menschen kämpften letztes Jahr mit einer Inflationsrate von über 21 Prozent. Für das erste Quartal dieses Jahres haben manche Ökonomen sogar 25 Prozent prognostiziert. Ökonomen und Investmentbanker rechnen auch mit einer weiteren Entwertung des ägyptischen Pfundes, bevor es sich auf seinen wirklichen Marktwert einpendelt. Die Deutsche Bank AG etwa sagt voraus, dass die Währung um weitere zehn Prozent abgewertet werden wird.

Besonders dramatisch sind die Preissteigerungen bei Lebensmitteln. Sie sind im Schnitt im letzten Jahr um mehr als ein Drittel teurer geworden, bei anhaltend niedrigen Löhnen für die Mehrheit der Ägypter. Der Grund für die Entwertung des Pfundes: Dem ägyptischen Staat gehen die US-Dollar aus. Auf 155 Milliarden Dollar belaufen sich laut der arabischen Bloomberg-Publikation Asharq Staatsschulden und Zinsdienste im laufenden Finanzjahr.



Linderung sollte ein mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) auf 46 Monate verteilter Kredit schaffen, dessen erste Tranche von über 300 Millionen Dollar allerdings fast vom Schuldendienst aufgefressen wurde.  

Die negative Handelsbilanz trägt das ihre dazu bei. Laut der Tageszeitung Al-Shorouk liegen derzeit in ägyptischen Häfen Waren im Wert zwischen 6 und 7,7 Milliarden Dollar fest. Da es im Bankensystem nicht genug US-Dollar gibt, können die Waren nicht ausgelöst werden. Die Entwertung des ägyptischen Pfundes hat hier für ein wenig Erleichterung gesorgt. Laut einer Erklärung der Zentralbank sind seitdem 925 Millionen Dollar in den Markt geflossen.

Der ehemalige Militärchef und heutige Präsident Abdel Fatah El-Sisi hat in den letzten Wochen die Schuld immer wieder von sich gewiesen und den Ukraine-Krieg und die Corona-Pandemie für die wirtschaftliche Misere verantwortlich gemacht. Er ruft sein Volk dazu auf, nicht in Panik zu verfallen. "Schwätzt nicht so viel Unsinn“, hatte er Mitte Januar in einer Rede von seinen Landsleuten gefordert. Stattdessen sollten die Ägypterinnen und Ägypter nur auf ihn und seine Minister hören, führte er weiter aus.

 

Sisi cannot ignore the Egyptian military’s economic role forever@SayighYezid writes for @FT https://t.co/mMHRgKTLBQ

— Malcolm H. Kerr Carnegie Middle East Center (@CarnegieMEC) January 23, 2023

 

 

Kritik an El-Sisi wird lauter

Doch die Kritik an der Politik des Staatschefs im Land wird immer lauter, selbst im Parlament, das als dem Präsidenten hörig gilt. "Seit Jahren haben wir davor gewarnt: Wenn ihr so weiter macht, werden wir am Ende mit dem Rücken zur Wand stehen und genau das passiert jetzt“, erklärte etwa die stellvertretende Sprecherin Maha Abdel Nasser in ihrer Rede im Parlament.



Auch so manche Aussage von Regierungsvertretern, die versuchen die Lage schönzureden, lässt sie nicht gelten. "Sie sagen damit, die Menschen seien Lügner. Als würden sie sich nur vorstellen, dass sie nicht mehr genug Essen kaufen können, als ob der Dollar nur in ihrer Fantasie in den Himmel geschossen ist“, sagte sie.

Auch wenn die Regierung die Krise auf äußere Faktoren wie den Ukraine-Krieg schiebt – viele Ökonomen sehen die Misere auch als hausgemachte Krise. Teure Prestigeprojekte, wie der noch nicht fertige Bau einer neuen Hauptstadt haben die Dollar-Reserven des Landes zusammenschmelzen lassen.

Selbst wenn Hilfe aus dem Ausland kommt, wird sie inzwischen an härtere Bedingungen geknüpft. Der IWF etwa fordert "kritische strukturelle Veränderungen“, die ein in Ägypten heißes Eisen berühren. Für weitere Kredite verlangt der Währungsfonds nicht nur eine weitere Flexibilisierung der ägyptischen Währung, sondern erstmals auch, dass sich das Militär aus der Wirtschaft zurückzieht.

Denn in den letzten Jahren ist die Armee zu einem der größten Unternehmer im Land avanciert, der in zahlreichen Sektoren der Wirtschaft aktiv ist und den Privatsektor zurückgedrängt hat. Es dürfte El-Sisi nicht leicht fallen, hier zum Rückzug zu blasen, da diese IWF-Forderung genau die Institution angreift, die seine wichtigste Machtbasis darstellt.

Tourismus in Ägypten; Foto: picture-alliance/dpa
Der Tourismus hat sich nach der Corona-Pandemie noch nicht wieder erholt und auch der Ukraine-Krieg trifft Ägyptens Tourismusbranche hart, denn Besucher aus Russland und der Ukraine machten vor dem Konflikt einen Großteil der Touristen aus. Aber auch wenn die Regierung die Krise auf äußere Faktoren schiebt – viele Ökonomen sehen die Misere auch als hausgemachte Krise. Teure Prestigeprojekte, wie der noch nicht fertige Bau einer neuen Hauptstadt haben die Dollar-Reserven des Landes zusammenschmelzen lassen.

Springen die Golfstaaten noch ein?

Bleibt die Hoffnung auf Hilfe aus den reichen Golfstaaten, die fürchten, dass Instabilität im bevölkerungsreichsten arabischen Land auch ihre autokratischen politischen Systeme gefährden könnte. Sie haben zumindest klar gemacht, dass sie ihre Einlagen in der ägyptischen Zentralbank in Höhe von 7,7 Milliarden Dollar verlängern. Aber frisches Geld vom Golf ist alles andere als garantiert. Die Golfstaaten kaufen derzeit lieber profitable ägyptische Unternehmen auf, als ihr Geld in das schwarze Loch des Staates zu stecken.



Am Golf wird inzwischen auch öffentlich diskutiert, ob es weise ist, Ägypten mit mehr Geld zu versorgen. Osama Al-Schaheen, ein kuwaitischer Parlamentarier etwa, warnt seine Regierung, blind weiteres Geld in die ägyptische Wirtschaft zu stecken, und fordert, die dort eingelegten öffentlichen kuwaitischen Gelder wieder abzuziehen.



Der saudische Finanzminister Mohammed Al-Jadaan erklärte auf dem internationalen Wirtschaftstreffen in Davos, dass die Zeiten vorbei seien, in denen das Königreich international direkte finanzielle Zuschüsse ohne jegliche Bedingungen zur Verfügung gestellt hat.



"Wir arbeiten jetzt mit internationalen Finanzinstitutionen zusammen und fordern echte Reformen”, sagte er in Davos. Diese Botschaft war an Ägypten gerichtet, wo die Saudis letztes Jahr noch fünf Milliarden US-Dollar ohne jegliche Bedingungen in der Ägyptischen Zentralbank eingelegt hatten, um dem Dollarschwund entgegenzuwirken. 

Für die Regierenden in Ägypten bedeutet das alles eine schwierige Gratwanderung. Nach innen müssen sie die Probleme herunterspielen und die Menschen beruhigen, nach außen, vor allem in Richtung Golfstaaten, aber auch gegenüber internationalen Institutionen, müssen sie eher die Dramatik der Lage betonen – in der Hoffnung, dass für diese Ägypten zu groß ist, um es wirtschaftlich abstürzen zu lassen.

Karim El Gawhary

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