"Sie sind gierig und haben ein großes Ego" 

Im Sudan kämpfen zwei Generäle um Macht und Pfründe. Mit ihnen kann es keine Demokratie geben, sagt eine Aktivistin in Khartum: Dafür müssten Frauen in die Politik. Ein Interview von Andrea Backhaus 
Im Sudan kämpfen zwei Generäle um Macht und Pfründe. Mit ihnen kann es keine Demokratie geben, sagt eine Aktivistin in Khartum: Dafür müssten Frauen in die Politik. Ein Interview von Andrea Backhaus 

Im Sudan kämpfen zwei Generäle um Macht und Pfründe. Mit ihnen kann es keine Demokratie geben, sagt eine Aktivistin in Khartum: Dafür müssten Frauen in die Politik. Ein Interview von Andrea Backhaus 

Von Andrea Backhaus

Die schweren Gefechte im Sudan zwischen der Armee unter Abdel Fattah al-Burhan und den paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) unter Mohamed Hamdan Daglo, genannt Hemedti, halten an. Die sudanesische Frauenrechtlerin und Demokratieaktivistin Hala al-Karib berichtet aus Khartum, wie die Zivilbevölkerung in den Städten darunter leidet. Sie ärgert die Doppelmoral der internationalen Gemeinschaft, die die sudanesischen Frauen während der Revolution bejubelt hat – und den Sudan danach den Generälen überließ. Al-Karib ist Regionaldirektorin der Strategischen Initiative für Frauen am Horn von Afrika (SIHA)

Frau al-Karib, wie ist die Situation in Khartum? 

Hala al-Karib: Die Lage ist sehr düster. Überall in der Stadt kommt schwere Artillerie zum Einsatz, um unsere Häuser herum hören wir Schüsse und Kampfflieger, die verschiedene Stadtteile bombardieren. Die Kämpfer der RSF plündern Läden, brechen in Häuser ein und terrorisieren die Bewohner. Auch hören wir von Fällen sexueller Gewalt. Wir wissen nicht, was passieren wird, es herrscht große Unsicherheit. 

Wie geht es Ihnen?



Al-Karib: Ich fühle mich zwar nicht sicher, aber es geht mir gut im Vergleich zu vielen meiner Landsleute. Ich habe ein Dach über dem Kopf und genug zu essen. In Khartum leben etwa acht Millionen Menschen. Die Mehrheit von ihnen ist auf die informelle Wirtschaft angewiesen, sie sind Tagelöhner, arbeiten im Transportwesen oder verkaufen eigene Produkte auf dem Markt. Das bedeutet, dass sie ihre Häuser verlassen müssen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen und Essen auf den Tisch zu bringen.



Jetzt sitzen die Menschen in ihren Häusern fest, weil es draußen zu gefährlich ist, und damit verlieren sie ihr Einkommen. Auch die Menschen in der Region Darfur haben in den vergangenen Tagen Terror erlebt. Etliche Geschäfte wurden geplündert und viele Menschen verschanzen sich in Moscheen. Für die Sudanesen ist es gerade eine sehr schwierige Zeit. 

"Viele Menschen sind verzweifelt"

Wie ist die Versorgungslage? 

Al-Karib: Schlecht. Fast alle Ladenbesitzer haben ihre Geschäfte geschlossen, weil sie Plünderungen befürchten. Nahezu alle Bäckereien sind zu, wegen der Plünderungen, aber auch, weil der Strom immer wieder ausfällt. Das ist ein großes Problem, denn die Menschen sind auf Brot angewiesen. In vielen Teilen von Khartum gibt es kaum noch fließendes Wasser. Es gibt keine sicheren Wege durch die Stadt. Es heißt immer wieder, die Konfliktparteien würden sich für eine Feuerpause einsetzen, aber wir sehen davon nichts. Viele Menschen sind verzweifelt und überlegen, ob sie fliehen sollen. 

Menschen fliehen vor den Kämpfen in Khartum: Foto: Ebrahim Hamid/AFP/Getty Images
Zivilbevölkerung auf der Flucht: "Die Lage ist sehr düster,“ sagt die sudanesische Aktivistin Hala al-Karib. "Überall in der Stadt kommt schwere Artillerie zum Einsatz, um unsere Häuser herum hören wir Schüsse und Kampfflieger, die verschiedene Stadtteile bombardieren. Die Kämpfer der RSF plündern Läden, brechen in Häuser ein und terrorisieren die Bewohner. Auch hören wir von Fällen sexueller Gewalt. Wir wissen nicht, was passieren wird, es herrscht große Unsicherheit.“ 

Haben Sie einen solchen Gewaltausbruch zwischen der Armee und den Paramilitärs erwartet? 

Al-Karib: Die wachsende Spannung zwischen den beiden Gruppen war zuletzt nicht zu übersehen. Ich war in den vergangenen Jahren sehr kritisch, was den politischen Prozess anging, und so wie mir ging es vielen sudanesischen Demokratieaktivisten. Wir denken, dass die internationale Gemeinschaft sehr naiv war, zu glauben, mit den beiden Generälen könnte es so etwas wie Demokratie im Sudan geben. 

Inwiefern ist das eine naive Annahme? 

Al-Karib: Die Konflikte zwischen der Armee und den paramilitärischen Kräften sind in den vergangenen Monaten immer mehr zutage getreten. Zudem hat ein so wichtiges Land wie Ägypten das Gefühl, vom politischen Prozess im Sudan ausgeschlossen zu sein. Man muss verstehen, welche Interessen die beiden Konfliktparteien und ihre Unterstützer im Land verfolgen.



Seit der Unabhängigkeit des Südsudan 2011 wurde nur wenig in den Aufbau des Sudan investiert, das Engagement blieb oberflächlich, trotz der vielen Gräueltaten, die im Land verübt wurden. Die Welt hat den Sudan den Generälen überlassen, die kein Interesse am Regieren haben, sondern nur damit beschäftigt sind, sich an den Ressourcen des Landes zu bereichern. 

"Sie haben ein System geschaffen, dass sie bei allem schützt" 

Wie haben die Männer das Land bisher geführt? 

Al-Karib: Sie haben Kontrolle ausgeübt und die Menschen terrorisiert. Al-Burhan und Daglo haben die staatlichen Institutionen so ausgerichtet, dass sie ihre jeweils eigenen Interessen wahren. Sie haben ein System geschaffen, dass sie bei allem, was sie tun, schützt. Die internationale Gemeinschaft hat das hingenommen und geglaubt, sie könnten die beiden Generäle mit der Zeit schon irgendwie positiv beeinflussen.



Die Wahrheit ist aber, dass die internationale Gemeinschaft die Augen vor den Verbrechen beider Seiten verschlossen hat. Das hat die Männer ermutigt, die Gewalt immer weiter eskalieren zu lassen und nun einen solchen egoistischen und unverantwortlichen Konflikt heraufzubeschwören. 

Der Sturz von Diktator Omar al-Baschir 2019 führte nicht zur erhofften Demokratisierung. Stattdessen übernahmen Armeechef Al-Burhan und RSF-Anführer Daglo die Kontrolle. Seitdem weigern sich beide Männer, die Macht an eine zivile Regierung zu übertragen. Warum? 

Al-Karib: Weil sie gierig sind und ein großes Ego haben. Die Generäle haben im Oktober 2021 einenMilitärputsch gegen die Übergangsregierung organisiert, die nach 2019 den Weg zu demokratischen Wahlen bereiten sollte. Mit dem Putsch wollten die Männer den Übergang zur Demokratie untergraben.

Soldaten der Rapid Support Forces im Sudan; Foto: Hussein Malla/AP/dpa
Wie aus der Sackgasse herauskommen? „Weder ein Waffenstillstand noch politische Verhandlungen sind gerade in Sicht,“ sagt Hala al-Karib. „Die RSF ist eine etablierte Miliz (hier Soldaten der RSF auf dem Bild), die sich nicht so leicht an den Verhandlungstisch bringen lässt und die Armee kämpft um ihre zukünftige Rolle im Staat. Jetzt muss erst einmal geklärt werden, wie die Zivilisten geschützt werden können. Dann sollte beiden Konfliktparteien vermittelt werden, dass ihre Vergehen an der Zivilbevölkerung international geächtet und strafrechtlich verfolgt werden. Ohne die Aufarbeitung der Verbrechen beider Gruppen kann es keinen Frieden geben.“



Die internationale Gemeinschaft hat die Männer dafür nicht zur Verantwortung gezogen, auch nicht für die außergerichtlichen Tötungen, die Zwangsräumungen und die Terrorisierung von Zivilisten, die unter ihrer Führung stattfanden. Es gab zu diesen Vorfällen nicht eine einzige unabhängige Untersuchung seitens internationaler Organisationen.

Al-Burhan und Daglo kontrollieren große Bereiche der Wirtschaft, es geht auch um viel Geld. 

Al-Karib: Ja. Sie haben das Wirtschaftssystem so organisiert, dass es vor allem ihren eigenen Zwecken dient. Sie plündern Ressourcen und sind involviert in Geschäfte wie Geldwäsche und illegalen Bergbau. Sie beuten das Land aus. 

Es schien ja so, als hätten sich die Konfliktparteien geeinigt. Erst im Dezember hatten Militärführung und politische Parteien dem Übergang zu einer zivilen Regierung zugestimmt. Warum hat das nicht geklappt? 

Al-Karib: Al-Burhan stand zuletzt unter enormem Druck, die Armee zu reformieren und die RSF darin einzugliedern. Der Konflikt zwischen beiden Männern ist vor allem deshalb eskaliert, weil Daglo die Eingliederung seiner Kämpfer in die Armee verweigert. Er fürchtet, dass er damit seine Macht verliert.    

Sorgen Sie sich bei dem jetzigen Gewaltausbruch um die Frauen im Land? 

Al-Karib: Auf jeden Fall. Sowohl die Kämpfer der RSF als auch die Soldaten der Armee sind bekannt dafür, dass sie Frauen und Mädchen Gewalt antun. Sie terrorisieren Frauen und das macht es schwierig für Frauen, sich öffentlich zu äußern und sich aktiv politisch zu beteiligen. In dem jetzigen Chaos fürchten sich die Frauen vor den Auswirkungen des Konflikts.



In Khartum sitzen seit Tagen dutzende Studentinnen in ihren Wohnheimen fest. Sie haben die Türen verrammelt, weil sie fürchten, dass Kämpfer reinkommen und ihnen etwas antun könnten. Ihre Furcht ist berechtigt. Sowohl die Milizen als auch die Armeesoldaten haben in der Vergangenheit sehr schwere sexuelle Verbrechen an Frauen und Mädchen begangen. Das könnte sich jetzt wiederholen.  

Ikone der sudanesischen Protestbewegung Alaa Salah; Foto: Getty Images/AFP
Alaa Salah, die Ikone der sudanesischen Protestbewegung: „Die sudanesischen Frauen waren schon immer maßgeblich an den politischen Veränderungen beteiligt,“ sagt Hala al-Karib. „Sie haben die Revolution angeführt, die zu Baschirs Sturz und dem Ende seiner 30 Jahre währenden Diktatur geführt hat. Sie waren nicht nur Teilnehmerinnen, sondern haben die Proteste aktiv organisiert. Sie haben Baschirs islamistische Partei, die Nationale Kongresspartei (NCP), herausgefordert und den Funktionären klargemacht, dass sie sich nicht mehr an die islamistischen, repressiven Regeln halten werden. Doch auch wenn die Frauen den Widerstand gegen die brutale Unterdrückung anführten, waren sie vom Übergangsprozess größtenteils ausgeschlossen.“ 

"Frauen haben Baschirs islamistische Partei herausgefordert" 

Welche Rolle haben Frauen in den politischen Umbrüchen seit 2019 gespielt? 

Al-Karib: Die sudanesischen Frauen waren schon immer maßgeblich an den politischen Veränderungen beteiligt. Sie haben die Revolution angeführt, die zu Baschirs Sturz und zum Ende seiner 30 Jahre währenden Diktatur geführt hat. Sie waren nicht nur Teilnehmerinnen, sondern haben die Proteste aktiv organisiert.



Sie haben Baschirs islamistische Partei, die Nationale Kongresspartei (NCP), herausgefordert und den Funktionären klargemacht, dass sie sich nicht mehr an die islamistischen, repressiven Regeln halten werden. Doch auch wenn die Frauen den Widerstand gegen die brutale Unterdrückung anführten, waren sie vom Übergangsprozess größtenteils ausgeschlossen. 

Warum? 

Al-Karib:Das politische System im Sudan ist noch immer sehr patriarchal geprägt und folgt einer militanten islamistischen Ideologie. Frauen werden nicht als einflussreiche Akteure innerhalb politischer Institutionen anerkannt. In der Zivilgesellschaft hingegen sind die Frauen erfolgreich und gut organisiert. Wir Aktivisten pochen deshalb schon lange darauf, Frauen noch stärker in zivilgesellschaftliche Initiativen einzubinden. Zum Beispiel eben jene jungen Frauen, die die Revolution vorangetrieben haben und hart dafür arbeiten, dass es im Sudan Frieden und Stabilität gibt.

In welchen Bereichen werden die sudanesischen Frauen benachteiligt? 

Al-Karib: Die sudanesischen Frauen erleben strukturelle Diskriminierung und haben nicht den gleichen Zugang zu Dienstleistungen und Bildung wie Männer. Ihre Appelle, sexuelle Gewalt zu beenden und ein System zu etablieren, das ihnen Zugang zu Bildung und Beschäftigung ermöglicht, werden von den politischen Eliten ignoriert. 

 

 

Kann es ohne die Einbindung der Frauen überhaupt einen demokratischen Wandel im Sudan geben? 

Al-Karib: Nein. Es kann keine Stabilität geben, ohne dass die militärischen und politischen Führer die Rechte der Frauen stärken und verstehen, wie wichtig Kompromisse sind. Im Sudan gelten noch immer Gesetze, die Diktator al-Baschir verabschiedet hat und die Frauen entmenschlichen. Der Sudan ist eines von weltweit vier Ländern, das die UN-Frauenrechtskonvention nicht unterzeichnet hat.



Im Sudan kann ein Mädchen im Alter von zehn Jahren zur Ehe weggegeben werden. Wir haben noch immer sehr strenge Vormundschaftsgesetze, die Zwangsheirat und Kinderehen ermöglichen und Gesetze, die eine körperliche Bestrafung von Frauen vorsehen, etwa Steinigung wegen Ehebruch. Für einen echten demokratischen Wandel muss die strukturelle Diskriminierung von Frauen überwunden werden. 

Ist das realistisch? 

Al-Karib: In der gegenwärtigen Lage ist das nicht einfach. Die politischen Eliten wollen ihre eigenen Privilegien sichern. Demokratie heißt aber, die Macht zu teilen und Diversität zuzulassen. Mich ärgert die Doppelmoral der internationalen Gemeinschaft. Sie hat zwar den Kampfgeist der sudanesischen Frauen während der Revolution bejubelt, sich danach aber wenig dafür eingesetzt, dass sich die Frauen politisch beteiligen können.   

Was muss passieren, damit der politische Übergangsprozess wieder in Gang kommt? 

Al-Karib: Das wird eine Herausforderung. Weder ein Waffenstillstand noch politische Verhandlungen sind gerade in Sicht. Die RSF ist eine etablierte Miliz, die sich nicht so leicht an den Verhandlungstisch bringen lässt und die Armee kämpft um ihre zukünftige Rolle im Staat. Jetzt muss erst einmal geklärt werden, wie die Zivilisten geschützt werden können. Dann sollte beiden Konfliktparteien vermittelt werden, dass ihre Vergehen an der Zivilbevölkerung international geächtet und strafrechtlich verfolgt werden. Ohne die Aufarbeitung der Verbrechen beider Seiten kann es keinen Frieden geben. 

Das Interview führte Andrea Backhaus.

© Zeit Online 2023